Applaus, Applaus!

Margarete Buhl

von Margarete Buhl

Story

Wer liebt keine Sonnenuntergänge?

Ich und mein Mann schon. Wir stehen an jedem Strand, schauen erwartungsvoll gen Westen und halten die Kameras bereit.

Das taten wir auch so in Key West. Klar gehört der Sonnenuntergang dazu, am Mallory Square, an dem alle Touristen stehen.

Wir starren also wie ungefähr dreihundert oder vielleicht auch fünfhundert andere auch aufs Meer, lassen die letzten Sonnenstrahlen auf unsere Gesichter treffen und kneifen die Augen zu, damit wir nicht geblendet werden.

„Weißt du, dass die Leute angeblich klatschen, wenn die Sonne untergeht?“, fragt mich mein Mann. Er ist einer von denen, die vorher die Reiseführer lesen. Ich schaue nur die Bilder an.

Ich lasse das Meer zwar nur ungern aus den Augen, aber das klingt so unwahrscheinlich, dass ich ihn anschauen muss. „Klatschen? Wie meinst du das?“

„Steht im Reiseführer. Wenn die Sonne untergeht klatschen die Zuschauer. Ist hier wohl so üblich.“

„Wie im Flugzeug, meinst du, wenn es landet?“ Ich kann es nicht glauben. Ich finde das schon seltsam. Ich klatsche auch nicht, wenn der Busfahrer an der Endstation ankommt oder der Zugfahrer es schafft, im Bahnhof anzuhalten. Ich meine, dann müssten wir ja überall klatschen. Das Brötchen ist in der Tüte gelandet statt daneben? Hey, klatsch, klatsch! Der Mitarbeiter der Müllabfuhr hat die Tonne angehängt und sie ausgeleert, ohne etwas zu verlieren? Applaus!

„Genau so.“

Die Sonne berührt den Horizont. Die Farben werden immer fantastischer. Kitschiger. Rosa, orange, rot, ungefähr eine Million Farben dazwischen. Es ist ganz ruhig, trotz der vielen Menschen.

Ein Moment, der mich ganz tief im Herzen berührt. Woran liegt es? Ja, die Farben sind fantastisch. Ja, es hat was, zu wissen, dass die Sonne jeden Tag wieder aufgeht. Dass wir einen wunderbaren Tag hinter uns haben und morgen ein neuer kommen wird.

Es geht schnell. Viel zu schnell. Ich merke, dass ich den Atem anhalte, dass ich vergesse, die Kamera zu heben. Lasse die letzten Sonnenstrahlen in mein Herz fallen. Und dann … ist sie weg.

Rund um uns herum klatschen die Menschen, einige johlen dabei.

Mein Mann und ich schauen uns an. Immer noch gefangen in dem Zauber, ein bisschen wie nach einer Vorstellung in der Oper, nach einer Arie, die uns ganz tief ins Herz getroffen hat.

Dann fallen wir lachend in das Klatschen ein. Warum nicht? Die Darbietung war fantastisch, die Natur hat sich quasi selbst überboten, indem sie uns diese Schönheit geschenkt hat. Das hat doch Applaus verdient, oder?

© Margarete Buhl 2021-01-22

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