von Ellen Thea
Dir wurde das Rückgrat gebrochen, deswegen bleibst du so ruhig, mit deiner Seele. Du arme Seele schaust seelenruhig dabei zu wie mein Skelett ineinander fällt, nur um dich später zu fragen, wer es so weit hat kommen lassen. Die Antwort kennst du, aber du willst sie nicht hören, also schreist du die Frage, so laut wie du kannst. Unser Haus hat dünne Wände. Sie wurden dünn geschrien. Vom Garten höre ich, was in der Küche geflüstert wird. Es ist schlimmer als dein Schreien. Ich will eine andere Küche, die hier ist nicht mehr gut.
Ich beantrage Asyl auf eine neue Küche, in der nie geflüstert wird und nie geschrien, nur getanzt und manchmal auch geweint, wenn ich an dich denke, wie du in der alten Küche stehst und schreist. In der neuen Küche esse ich immer nur eine Portion. Ich will hier höflich sein, damit die Wände dick bleiben.
Dick, wie die gebrochene Rippe die aus meinem Bauch sticht. Ich kann heute nicht aufstehen. Ich kann heute nicht raus gehen. Versteck mich bitte vor Fragen. Ich mag lieber Antworten, sie halten sich bloß fern von mir, so wie ich mich von euch. Meine dritte Mutter weiß es, die zweite hat einen Verdacht, ihre hochgezogene Augenbraue ahnt so einiges, was man nur im schalldichten Raum ausspricht oder besser gar nicht.
Gar nicht, so wie ich die Tabletten einnehme hier im Asyl. Zuhause stehen sie in der Küche, aber da kann ich nicht hin. Sie bleiben auf dem Schreibtisch liegen der nicht mir gehört, gleich neben meinem Gehirn, das mir noch nie gehört hat. Ich bräuchte es gerade ganz dringend, viele Dinge bräuchte ich gerade, aber ich hab sie liegen lassen, alle irgendwo vergessen, also kritzle ich wirre Lügen auf ein Blatt Papier, die sich in mich rein fressen und schreie ein bisschen in mich rein. Niemand hört es, meine Bauchwand hat sich an den Lügen dick gefressen, vielleicht passe ich deshalb nicht mehr in eure Küche. In die neue vielleicht auch nur mäßig, vielleicht brauche ich eine neue neue Küche zum Ankommen.
Vielleicht komme ich an und will weg. Hier schmeckt mir gar nichts und nach dem Essen wollen sie mich wiegen. Die alte neue Küche war besser, bitte lasst mich wieder rein!
Meine Seele beruhigt falle ich seelenruhig in das Bett, das nicht mir gehört. Hier sind die Wände so dick, hier bin ich sicher. Ich höre nicht wie sie flüstern: „das Asyl läuft bald ab“
Das Asyl findet den Weg nach draußen nicht, also nistet es sich in meinem Auge ein und verdeckt mir die Sicht. Den richtigen Ort erkenne ich nicht mehr und die richtige Zeit hat mir niemand verraten, aber ich erkenne dich trotzdem, ein gebrochenes Rückgrat hat schließlich nicht jeder. Ich wünschte nur, du würdest mal zum Arzt gehen. Sollte ich auch mal, aber das Asyl ist meinem Auge entschwunden, in fremde Hände gesprungen.
Ein letztes Mal wird geweint, ein letztes Mal getanzt, in der neuen Küche.
© Ellen Thea 2022-07-14