Ich bin ein >Mittner<

Gerhard Maier

von Gerhard Maier

Story

Die Geschichte scheint aus der Zeit gefallen zu sein.

Wir wohnen im selbst gebauten Behelfsheim in Bischofshofen. Als Baby lieg ich in dem Stubenkörbl, das vor ein paar Jahren noch die Schlafstatt meiner Tante Resi war. Meine Südtiroler Großeltern umhegen mich. Meine Eltern arbeiten bis Samstagmittag, Mama bringt Spielzeug aus Salzburg mit. Die karge Freizeit genießen die Jungeltern, knapp über zwanzig, in Zweisamkeit und Tanzcafés.

Ich bin emotional ein Südtiroler. Die Großeltern reden tirolerisch, Tante und Onkeln schon Pongauerisch. Wir essen Muas, Schlutzer, Plentn, Reis und Gemüse aus dem Gartl, selten gibt es ein Stück Fleisch. Die Portionen sind klein, wir sind alle sehr schlank.

Die erste Erinnerung an meine Pongauer Großeltern hat mit Essen zu tun. Ich esse und esse, dann noch eine geile Torte. Viel zuviel! Es dauert eine Woche, bis ich wieder in den Kindergarten kann. Meine Pongauer Großeltern sind wohlgenährt, es mangelt nicht an Fleisch, Speck, Kas, Butter, Erdäpfel. Mein Opa ist der zweite Sohn des Bauernhofes „Mitten”. Bauer werden wollte er nie, seine Zeit als Knecht in „Götschen“ hat ihm gereicht. Jetzt war er Eisenbahner, der Traum seines Lebens hatte sich erfüllt, die kleine Familie wohnte in einem ÖBB-Personalhaus.

Für meine Pongauer Urgroßmutter, der sogenannten Mitten-Mutter, war ich das erste Urenkerl, sie war damals 81. Bei ihr hieß ich „Buadei”, während ich sonst das “Biabl” war. Urgroßmutter war eine hagere, stille Frau mit tiefliegenden Augen, sie trug immer eine Gretlfrisur und ein Schürzenkleid. Gesichtsausdruck und Blick waren etwas starr und sie zitterte.

Der Bauernhof „Mitten”, bald eine Jausenstation, war für mich das Eldorado, viele Wochenenden waren wir dort. Katzen gab es genug, aus dem Stall grunzte es, das wenige Heu wurde mit einem Holzwagen, wo die Kuh vorgespannt war, eingebracht. Hendl wurden am Hackstock geköpft und rannten noch ein Stück ums schon verlorene Leben. Großtante Emi versorgte mich Gönnerhaft mit Schmalzbrot und Saft.

Ich erinnere mich an einen Stefanitag zu Besuch bei der Urgroßmutter. Der Christbaum war mit Engelshaar geschmückt, ein tolles Schaukelpferd stand daneben. Reiten durfte ich nicht, ich bekam ein Zuckerl vom Baum und durfte mit einer Schneekugel spielen. Schuhplattler kamen, die Buben vom Platten-Bauern führten ein Stückl auf.

Die Urgroßmutter starb mit 88, als ich 7 war. Sie wurde in ihrem Wohnraum aufgebahrt. Meine Mutter verbot, dass ich zum Beten mitgehe. Mein Vater meinte, ich müsse, ich sei ja auch ein „Mittner”. Mama hat sich durchgesetzt, ich wäre schon mitgegangen.

„Mitten” blieb ein Eldorado. Im Winter haben wir Haselnussstecken als Tore fürs Schitraining geschnitten und Pisten ausgetreten. Eine führte vom Platten hinunter zum Mitten. Eine andere führte über den Grund, wo jetzt unser Wohnhaus steht.

„Mitten” ist seit langen Jahren keine Jausenstation mehr, aber viele hoffen noch immer, dass bald wieder aufgesperrt wird.

© Gerhard Maier 2020-08-22

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