Auf den Spuren meines Vaters

ilka wohlers -mastrandreou

von ilka wohlers -mastrandreou

Story
1941 – 2021

Mai 1941. Es ist mitten im Zweiten Weltkrieg, als ein deutscher Marinesoldat in Thessaloniki stationiert wird. Er spaziert mit seinen Kameraden den Niki Kai entlang, sieht wie griechische Männer ihre Zigaretten versteckt in ihren Manteltaschen drehen, in der Straßenbahn setzen ihn Frauen in Erstaunen, die ihre Säuglinge während der Fahrt an die Brust legen und stillen. Die Farbe des Himmels, die Wärme des Meeres und die helle Sonne, Gerüche und Menschen versetzen den 20-jährigen Mann in eine ihm bisher unbekannte Welt. In einen Brief, den er im Dezember 1942 an seine Mutter schickt, legt er eine schwarz- weiß Fotografie von ihm und schreibt: Wisst Ihr was Sonne ist? Mittlerweile ist er in Kavala stationiert und hat den Ort Stavros und die Insel Thassos besucht.

1964, ich liege vor dem Plattenspieler und höre Musik.“Weiße Rosen aus Athen“. Noch bevor ich zur Schule komme, kenne ich den Text auswendig.

In einem Bilderbuch sehe ich mir die weißen Häuser unter der strahlenden Sonne am blauen Meer an und träume mich in eine fremde Welt. Später finde ich in einer alten Zigarrenkiste die Fotos meines Vaters aus Griechenland.

Ostbahnhof München, April 1981. Mein Gepäck besteht aus Badesachen und einigen wenigen Kleidungsstücken, verpackt in einem alten kleinen Armeerucksack. Mein Ziel ist Thessaloniki. Der Zug ist 35 Stunden unterwegs. In meinem Abteil sitzt ein griechischer Mann, der von einer Pelzmesse in Frankfurt kommt. Es stellt sich heraus, dass er immer mit dem Zug unterwegs ist, weil er sich vor dem Fliegen fürchtet.

Das Hotel hat nur kaltes Wasser zum Duschen. Die Betten sind Etagenbetten und ich schlafe mit vielen internationalen jungen Leuten in einem Raum. Die Milch wird in Kilo angeboten und die Pfiffe der jungen Männer auf der Straße sind mir fremd. Vom Pelzhändler habe ich eine Telefonnummer. Er holt mich ab und zeigt mir auf seiner Vespa die Stadt. Am Abend finde ich keinen Einlass mehr im Hotel und er bringt mich zu seiner Schwester, wo ich in der Küche auf einem Sofabett die Nacht verbringe. Am nächsten Morgen, es ist Sonntag, fahren alle gemeinsam, die Schwester hat 2 kleine Kinder im Alter von 5 und 7 Jahren nach Panorama, geniessen die Aussicht und dann geht es in eine Militärkaserne am Strand zum Mittagessen. Der Mann der Schwester ist Offizier.

Da ich nicht viel Geld dabei habe, trampe ich am Montag weiter. Mit einem LKW fahre ich nach Kavala, da liegt die Insel Thassos auf der Strecke.

Als wir in Kavala ankommen, erkenne ich meine Bilderbuchstadt. Von Keramoti aus fahre ich auf die Insel. Der Fahrer hat in Limenas Verwandte und gibt mir einen Brief mit. Dort könne ich auch ein günstiges Zimmer bekommen. Durch den Brief werde ich herzlich aufgenommen und kann sofort duschen, diesmal mit warmen Wasser.

Am pitoresken alten Fischerhafen kehre ich auf einen Kaffee in einem kleinen Kafenion unter riesigen, schattenspendenden Platanen ein. Zwei junge Männer spielen dort Karten. Einer der beiden ist mein heutiger Ehemann.

© ilka wohlers -mastrandreou 2021-01-22