Auf den Spuren von Nagib Machfus in Kairo

Georg Zenz

von Georg Zenz

Story

Nagib Machfus, der große Schriftsteller schrieb über die Midaqgasse, diesen Mikrokosmos inmitten der Millionenstadt, über deren Bewohner und ihr Leben, ihre Träume und Hoffnungen. Erfüllte und nicht erfüllte.

Ich will an den Schauplatz dieses Buches der Weltliteratur, will im Cafe von Meister Kirscha eine Shisha rauchen und einen Tee trinken. Vielleicht sehe ich das Buch leben. Ich müsste nur die Augen schließen.

Ich sehe es Sanqars Augen an! Er hat keine Ahnung wo sich die Midaqgasse befindet. Es war ein Fehler ihn nach dem Weg zu fragen. Jetzt ist es zu spät für einen Rückzug! Ein höflicher Kairoer schickt einen suchenden Europäer eher x-mal nach Johannesburg bevor er seine Unkenntnis zugeben würde. Er dreht sich kurz herum, prüft im Geist alle möglichen Richtungen. Osten!

„Yes my friend, I show you“. Und schon nimmt er meinen Arm und zieht mich in das Gewirr der engen Gassen. Hinein in einen Ozean des Drängens, Lärmes und der Gerüche.

Seine Hartnäckigkeit und Ortsunkundigkeit sind einander ebenbürtig. Schon zum zweiten Mal passieren wir den Laden mit den ätherischen Ölen, an anderer Stelle ebenso oft einen Buchladen. Ich weiß dass es die Midaqgasse noch heute gibt, dass die im Roman vorkommenden Häuser noch stehen. Sanqar weiß aber weder von dieser Gasse noch von Nagib Machfus, dem Nobelpreisträger für Literatur. Wieder der Buchladen. Ich packe Sanqar am Arm und stelle ihn zur Rede. Passanten bleiben stehen, bilden einen Kreis um uns. Ich erkläre ihnen die Situation und sofort zeigen sie alle in Richtung Midaqgasse. In drei verschiedene Richtungen allerdings.

Allah der Erbarmungsvolle, schickt mir in diesem Moment Ahmed.

Ahmed den Philosophen, Denker und Träumer. Arbeitslos, versteht sich. Philosophen, Denker und Träumer sind auf diesem Kontinent meist arbeitslos. Denken ein brotloser Zeitvertreib. Aber er kennt Nagib Machfus, schwärmt von den schönen farbigen Beschreibungen seiner Stadt durch den Schriftsteller. Ahmed schildert mir auch in tausend Farben einen Orient, dessen Wurzeln in Zeiten zurückreichen, in denen in den Wäldern Mitteleuropas noch Finsternis herrschte.

Er erzählt mir von der antiken Bibliothek in Alexandria, den frühen Universitäten Kairos und von den Bemühungen des heutigen Ägyptens wieder nach oben zu kommen. Ahmed bahnt sich den Weg durch die Menge und gibt mir dabei ständig Unterricht in ägyptischer Kulturgeschichte und Politik. Ich bin auf eine Goldader gestoßen.

Nach einer halben Stunde biegen wir von der Sanadiqijgasse links ab und stehen am Beginn einer Sackgasse, der Midaqgasse.

Kein Schild, keine Marmortafel weist auf die Berühmtheit des Ortes hin. In Ländern, wo täglich um die Existenz gekämpft werden muss bleibt keine Zeit zur Montage von Gedenktafeln für Dichter.

Vielleicht auch nur deshalb, weil jeder, der es hier schafft, 70 Jahre alt zu werden ebenso eine solche verdienen würde. Es ist immer noch ein Risiko in diesen Teil der Welt hinein geboren zu werden.

© Georg Zenz 2020-07-20

Hashtags