von Hannes Stuber
[1987] Auf dem Weg nach Portugal, wo ich ein paar Freunde besuchen wollte, fuhr ich an der spanischen Nordostküste entlang. In Cadaques mietete ich ein Zimmer. Es sah bei näherer Betrachtung eher schäbig aus. Die Bettdecke zierten zwei Brandlöcher. Die Farbe der Fenster blätterte ab, das Bett war alt. Eine Heizung gab es nicht, obwohl sie nötig gewesen wäre, jetzt im November. Draußen warf das aufgewühlte Meer seine Wogen über die Kaimauer. Tosend klatschte das Wasser gegen die Felsen. Die Tramontana fegte von den Pyrenäen herunter.
Am Morgen, nach einer unruhigen Nacht auf einer durchgelegenen Federkernmatratze und einem üppigen Frühstück, ging ich zum Meer. Ich wanderte ein Stück den Hafen entlang. Hier also war Salvador Dalí, der Papst des Surrealismus, einst spazieren gegangen. Seine phantastischen Bilder faszinierten mich seit einem halben Jahrhundert. Am Rand von Cadaques hatte er gelebt. Ich befand mich sozusagen auf heiligem Boden und wandelte auf Dalís Spuren, in seiner von ihm geliebten Heimat. Auf der Stelle hätte ich ein Bild malen können, mit bunten Fischerbooten, blauem Meer und ebenso blauem Himmel.
Tags zuvor war ich in Figueras gewesen, wo Dalí aufgewachsen war. Nach dem Besuch eines Cafés stieg ich in mein Auto und vergaß die Kameratasche, in der sich außer der Nikon mein ganzes Geld und der Reisepass befanden, auf dem Dach des Wagens. Über altes Kopfsteinpflaster rumpelte ich zu Dalís Museum, dem klobigen rosa Haus mit den großen Eiern am Dachfirst, einem ehemaligen Theater. Beim Aussteigen traf mich fast der Schlag, als ich die Kameratasche direkt vor meiner Nase erblickte, noch immer auf dem Autodach. Die eckige Hartschale der Tasche hatte bewirkt, dass Letztere nicht vom Dach gefallen war. Geschockt setzte ich mich gleich wieder hin.
Mit weichen Knien stolperte ich durch das Museum, von dem ich mehr erwartet hatte. Die Auswahl der Bilder war begrenzt. Das meiste hing wohl in Paris, London, Madrid und New York. Im Entrée protzte provokativ und zentral ein alter Rolls-Royce, zirka aus den Vierzigerjahren, mit einer üppigen weiblichen Bugfigur, von Ernst Fuchs erschaffen. Am besten gefiel mir das Gemälde von Dalís Gattin Gala, das sie mit einer Gans zeigt.
Sinnierend wanderte ich durch Cadaques. Dalís Wohnhaus besaß überladene schwülstige kleine Zimmer, kitschig wie der phallusförmige Pool, nichts für mich. Am Rückweg zum Hotel fand ich auf dem Boden eine kleine blaue Plastikblume, ein Kinderspielzeug. Die Blume besaß ein lachendes Gesicht und zwei Arme und hielt eine Gitarre in den Händen.
In einem Geschäft kaufte ich ihr eine Batterie. Ich befestigte die blaue Blume auf dem Armaturenbrett meines Wagens. Das Ding wiegte während der Fahrt fröhlich seinen Sonnenblumenkopf und schwenkte die Gitarre beständig von einer Seite auf die andere. Nun konnte sie zu der rockigen Musik aus dem Rekorder tanzen. Vorbei am Montserratgebirge, steuerte ich das katalanische Hinterland an, um über Asturien weiter nach Portugal zu fahren.
© Hannes Stuber 2020-08-15