von Sonja M. Winkler
Wir leben in einer Zeit des Verschwindens. Dinge kommen außer Gebrauch und mit ihnen die Wörter. Nun ist das nichts Neues, es hat sich nur das Tempo erhöht. Schon innerhalb eines Menschenlebens verzeichnen wir große Verluste im lexikalischen Altbestand, der aufgemotzt wird mit allerhand Anglizismen.
Ich hab nichts gegen Englisch, aber es sollen viele heimische Wörter, so lese ich, in Wörterbüchern nicht mehr verzeichnet werden. Sie fallen der Streichung anheim, wie z. B. Backfisch, Blaustrumpf und Hagestolz. Wörter haben ein Verfallsdatum. So wie die Kombinage.
Fleischfarben und beige. Meine Mutter trug sie. Als meine Brüste gerade mal Knospen waren, erhielt ich zu Weihnachten von der Oma auch so ein Teil aus 100% Polyester. Das Unterkleid war wegen der Synthetikfaser so gut wie immer statisch aufgeladen, knisterte und klebte an meiner Haut. Tragekomfort null. Deshalb ausgestorben. Heute gibt‘s String und Push-up.
Apropos. Ich kann mich noch an den Ausdruck „Atombusen“ erinnern. Es war die Zeit, als das Konterfei von Sophia Loren auf dem Cover der Illustrierten prangte. Seit man Nuklearkraftwerken kritisch gegenübersteht, ist der Atombusen verschwunden. Aber Holz vor der Hütte hat sich gehalten. Somit ist Trump bestätigt. Österreich ist ein Waldland. Da wird fleißig geschlägert.
Ich war bass erstaunt, als ich las, es gibt eine rote Liste mit Wörtern, die vom Aussterben bedroht sind. Ich werde ab heute meine ganz persönliche zusammenzustellen.
Als ich in den Kindergarten ging, gab mir meine Mutter das Essen, das dann aufgewärmt wurde, in einem Menagereindl mit. Es war ein Reindl aus Email, mit einem Deckel, den ein metallener Bügel luftdicht verschloss. Wenn mich der Opa zum Kindergarten brachte, kaufte er beim Greißler manchmal einen Gabelbissen. Handtellergroß, der Behälter, unter der Cellophanfolie in Aspik eingelegte Scheiben von Gurke, Ei und Karotte, Stückchen vom Hering, alles reichlich verziert mit Mayonnaise.
Wenn meine Mutter Schneiderzubehör besorgte, war die erste Adresse der Knopfkönig bei der Mozartkreuzung. Dort ließ sie ihre Strümpfe repassieren. Ich erinnere mich, dass dieses Wort einmal bei der Millionenshow gefragt wurde. Ich wäre ein guter Joker gewesen. Als die Nylonstrumpfhosen aufkamen, erübrigte sich das Auffangen von Laufmaschen und Flicken von Strümpfen.
Auf den Ausdruck „Netiquette“ musste man in den 1960er-Jahren noch lange warten, wohl aber gab’s Benimmregeln nach Knigge. Dieses Handbuch befand sich in vielen Haushalten, in unserem auch. Ich grüßte noch mit einem Knicks, und mein Bruder machte einen Diener.
In Zeiten von Corona, in denen Händeschütteln ein No-Go ist, sind viele Menschen zum Bückling zurückgekehrt und machen eine Verbeugung, wie sie in asiatischen Kulturen seit jeher üblich ist. Der Kratzfuß hingegen ist seit Schillers Zeiten obsolet. Dieses Wort kratzt heute keinen mehr.
Einige Wörter hätte ich übrigens noch in petto.
© Sonja M. Winkler 2020-10-12