von Yvonne Schauer
Jedes Mal, wenn ich eine Geschichte schreibe, komme ich irgendwann an den Punkt, an dem ich überlege: Kann ich das so schreiben? Ist das interessant genug? Ist das überhaupt salonfähig? Überängstlich scanne ich nochmal durch meinen Text, um zu sehen, ob sich nicht irgendwer, irgendwo mit irgendeinem Wort angegriffen fühlen könnte. Ich ertappe mich immer wieder dabei zu denken: nein, das kann ich so nicht schreiben. Das kriegt vielleicht wer in den falschen Hals. Das mögen die Leser sicher nicht. Das ist nicht hip genug, nicht tiefgründig genug, nicht clever genug. Einfach nicht genug. Ich selbst bin meine härteste Kritikerin und gehe scharf mit mir ins Gericht. Meine Geschichten gehen nur dann raus, wenn ich sie fast schon auswendig kann, weil ich sie auf Herz und Nieren prüfe.
Aber woher kommen diese Selbstzweifel? Wieso interessiert es mich, ob es jemanden interessiert, was ich so schreibe? Zugegeben, es ist ein großartiges Gefühl, wenn man positives Feedback bekommt. Jede Benachrichtigung, dass jemand den Herz-Button gedrückt hat, löst eine Welle der Ekstase aus. Aber es wird auch ein wenig zur Sucht. Schau ich nochmal rein? Vielleicht hat es in der Zwischenzeit wieder jemandem gefallen, was ich schreibe? Es geht nicht mehr um die Geschichte, sondern um die Reaktion. Das finde ich bedenklich. Ich stelle mir die Frage, worum es mir denn hier wirklich geht. Für wen schreibe ich eigentlich? Für mich, für die anderen?
Viele Schreibratgeber raten dazu, sich eine Leserschaft auszusuchen, für die man schreibt. Man soll nie aus den Augen verlieren für wen man schreibt. Man soll den Leser berühren, denn was bringt die beste Geschichte, wenn sie niemand liest? Man soll sich fragen: Wen möchte ich erreichen? Ich frage mich selbst ganz eindringlich, wen ich erreichen möchte, aber die Antwort bleibt aus. Ich frage mich weiter: Gibt es überhaupt so etwas wie den idealen Leser, für den ich schreiben kann?
Ich bin kurz davor, diesen Text zu verwerfen, weil mich die Unsicherheit und die Frage nach Relevanz mal wieder einholt. Doch plötzlich erkenne ich, dass dieser Fokus auf den Leser, dieser Wunsch nach Geltung und diese Angst vor Kritik meine Arbeit verfälschen. Ich schreibe nicht mehr so, wie ich es könnte. Ich zensiere mich, erlege mir selbst Grenzen auf. Dabei wird mir klar, warum ich eigentlich wirklich schreibe. Weil es mir Spaß macht. Weil es mich erfüllt. Weil ich Worte und ihre Kraft einfach liebe. Weil es für mich Freiheit und Grenzenlosigkeit bedeutet. Weil einfach alles möglich ist. Nicht mehr und nicht weniger. Jetzt, wo ich das verstanden habe, sage ich: Jetzt ist Schluss damit! Und um mir das selbst ein für alle Mal zu beweisen, klicke ich auf „veröffentlichen“, obwohl ich den Text nur drei Mal Korrekturgelesen habe und gar nicht weiß, wen ich eigentlich damit ansprechen möchte.
© Yvonne Schauer 2021-11-19