von Franz Herzog
Erst gestern hatten wir auf der MS Bremen bei SĂŒdgeorgien den verheerenden Seeschlag ĂŒberlebt. Im Orkan baute sich plötzlich eine 35 m hohe Welle wie eine Wand vor unserem Schiff auf und donnerte dagegen. Auf der BrĂŒcke schoss das Wasser durch die zertrĂŒmmerten Fenster, alle Instrumente fielen aus und das Schiff wurde fĂŒr mehrere Stunden ein Spielball der Wellengebirge. Die Gedanken an die Titanic und das schier hoffnungslose Ausgeliefertsein im Toben der Elemente lieĂ uns nackte Todesangst spĂŒren. Doch wie ein Wunder haben wir ĂŒberlebt.
Auf dem roten Rumpf des fremden Schiffes, das die angeschlagene Bremen nach Buenos Aires geleiten soll, steht in groĂen Lettern âErnest Shackletonâ. Es ist das Forschungsschiff des British Antarctic Survey, benannt nach dem groĂen englischen Antarktisforscher, dessen Geschichte immer noch unglaublich anmutet.
Zweimal war Shackleton knapp vor dem SĂŒdpol gescheitert. Inzwischen haben Amundsen und Scott den Pol âerobertâ und so entschied sich Shackleton fĂŒr eine Durchquerung der Antarktis. Knapp vor dem 1.Weltkrieg brach er 1914 mit seinem Schiff Endurance auf, blieb aber schon frĂŒh im Eis der Weddellsee stecken. Den ganzen Winter driftete das Schiff mit dem Eis und wurde schlieĂlich von den Eisschollen wie in einem Schraubstock zerdrĂŒckt. Die 28 MĂ€nner mussten das sinkende Schiff mit den 70 Schlittenhunden und den Rettungsbooten verlassen und lebten nun 6 Monate von ihren VorrĂ€ten, Robben- und Pinguinfleisch, in Zelten auf dem Eis. Inzwischen schmolz das Eis und sie trieben auf das offene Meer zu. Shackleton, den sie den âBossâ nannten, musste so manche kritische Situation entschĂ€rfen und seine MĂ€nner immer wieder aufrichten und motivieren. Es gelang ihnen, mit den drei offenen Rettungsbooten Elephant Island zu erreichen.
Auch wir sind mit Zodiacs auf Elephant Island angelandet und erinnerten uns, wie Shackleton hier einen kĂŒhnen aber verzweifelten Plan gefasst hat: die MĂ€nner auf der Insel zurĂŒcklassen und mit einem nur 6 m langen Rettungsboot das 1300 km entfernte SĂŒdgeorgien erreichen.
TatsĂ€chlich gelang es ihnen in 16 unvorstellbar harten Segeltagen und einer navigatorischen Meisterleistung auf SĂŒdgeorgien zu treffen, aber auf der falschen Seite. So mussten sie noch das vergletscherte Gebirge ĂŒberqueren, um hoffentlich auf einer Walfangstation Menschen anzutreffen.
Inzwischen lebte der Rest der Mannschaft auf Elephant Island unter den umgedrehten Booten und hatte schon jede Hoffnung auf Rettung aufgegeben. Doch es wĂ€re nicht der âBossâ gewesen, wenn er nicht im 4. Versuch die Eisbarriere ĂŒberwunden und seine MĂ€nner vollzĂ€hlig aus der 128 Tage dauernden Gefangenschaft gerettet hĂ€tte.
Wir stehen am Grab von Sir Ernest Shackleton in Grytviken, SĂŒdgeorgien und stoĂen, wie es seither Brauch ist, mit Whisky auf den unvergessenen Abenteurer, Antarktispionier und Menschen an. Er ist hier auf seiner letzten Antarktisreise einem Herzanfall erlegen.
© Franz Herzog 2020-08-03