Auf gut bayerisch

Thomas Schmitt

von Thomas Schmitt

Story
Deutschland 2024

Die frühen Zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts werden nicht als die „Goldenen“ in die Annalen eingehen. CORONA umhüllte den Planeten wie ein erstickender Kokon. Auch auf unserem Land lag regierungsseitig verordneter und behördlicherseits gepflegter Mehltau. Polizei, die völlig zu Recht über eine Bugwelle der vorauseilenden Überstunden klagt, scheuchte am Isarufer friedliche Rentner von der Parkbank auf. Die Bilder waren verstörend. Im Freistaat Bayern gehen die Uhren traditionell anders. Auch wenn der Freistaat bei Gründung der Bundesrepublik als letztes Land dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beitrat, marschierte er diesmal an der Spitze der Bewegung, die alles zum Stillstand brachte. Ministerpräsident Dr. Markus Söder, CSU, interpretierte die vollmundig zitierte „Liberalitas Bavariae“ auf seine unnachahmliche Weise. Dieses Leben und leben lassen (könnte einem James Bond-Titel entlehnt sein), steht hierzulande für Toleranz, Freizügigkeit und pure Lebensfreude. Ich habe mir sagen lassen, dass sich diese Losung für das Leben ursprünglich aus dem Liberalitas Bavarica ableitet. Diese Worte stehen feierlich über dem Portal des Augustinerchorherrenstifts Polling im schönen Landkreis Weilheim-Schongau, dort, wo kein Geringerer als Söders Posterboy Franz-Josef Strauß in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre Landrat und späterer Stimmkreisabgeordneter im Deutschen Bundestag war.

Strauß, des Großen Latinum über-mächtig, hätte liberalitas mit „Freigebigkeit“ übersetzt. Man könnte auch kurz „Güte“ sagen. Als gütiger Landesvater ist mir Markus Söder seit seines Corona-Regimes nicht in Erinnerung. Er inszenierte sich während dieser Zeit als Krisenmanager und fühlte sich durch wachsende Zustimmungswerte in dieser Rolle bestätigt. Die kollektive Ängstlichkeit war der Humus, auf dem immer neue Einschränkungen bürgerlicher Freiheitsrechte gediehen. Dieses, vom „Team-Vorsicht“ gesäte Unkraut, überwucherte binnen kürzester Zeit alles, was irgendwie nach Freiheit roch. Dabei kam ihm zupass, dass er ein halbes Jahr turnusgemäßer Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz war. Die anschließenden Pressekonferenzen nutzte er als Bühne, um sich neben der Kanzlerin in Szene zu setzen. Der blieb meist eine Nebenrolle, denn Söder beanspruchte die doppelte Redezeit, um seinen Führungsanspruch in schweren Zeiten zu manifestieren. Ganz nebenbei konnte er sich als Hardliner öffentlichkeitswirksam von Armin Laschet absetzen, dessen Kanzlerkandidatur Söder mit seinem persönlichen „Angebot“ unterlaufen wollte. Auf gut sizilianisch kann man ein solches Angebot nicht ablehnen. Wer annimmt, dass Markus Söder irgendetwas politisch anfasst, ohne es vorab auf seine mediale Vermarktungsmöglichkeit geprüft zu haben, ist aus meiner Sicht schlicht naiv.

Die Bürgerinnen und Bürger haben ein gutes Gedächtnis. Jetzt dämmert ihnen, was auf sie – in Bayern zeitweilig unter Hausarrest gestellt – im medialen Nieselregen der Inzidenzraten an Freiheitseinschränkungen niederging. Die von Martin Hagen, dem ehemaligen Vorsitzenden der FDP-Landtagsfraktion angeregte, politische Aufarbeitung der Corona-Pandemie durch eine Enquetekommission, wurden vom gesundheitspolitischen Sprecher der CSU wortreich als „unnötig“ und „zu bürokratisch“ abgelehnt. An Bürokratie hat es während Corona nun wirklich nicht gemangelt.

© Thomas Schmitt 2024-01-19

Genres
Lebenshilfe
Stimmung
Hoffnungsvoll, Reflektierend