Auf Rudelgucken keinen Bock

Hans-Peter Schaub

von Hans-Peter Schaub

Story

Rudelgucken, das deutsche Wort, das ‘Public Viewing’ am besten trifft, ist an der Fußball-EM wieder hoch im Kurs. Vor Großbildschirmen an öffentlichen PlĂ€tzen versammeln sich Scharen von Zuschauern und bilden Fangemeinschaften, oft in den Farben ihres Nationalteams gekleidet. Mit meist viel alkoholischen GetrĂ€nken, gegrilltem Fleisch und SchlachtgesĂ€ngen wird viel LĂ€rm gemacht und das Gemeinschaftserlebnis gesucht. Angefangen hat alles so richtig an der WM 2006 in Deutschland, wo die Stadien alle rasch ausverkauft waren und von der Organisatoren nach einer Lösung gesucht wurde, wie die vielen Fans ohne Eintrittskarten die Spiele live verfolgen konnten. In vielen StĂ€dten wurden zu diesem Zweck Großbildschirme aufgestellt und LĂ€rmverordnungen geschaffen, die es erst möglich machten, unter freiem Himmel bis in die Nacht hinein Fußballfeste zu feiern. Auch wenn sich im Finale die Italiener gegen die Franzosen nach VerlĂ€ngerung und Elfmeterschiessen den Weltmeistertitel holten, ging dieses Sportereignis als ‘Deutsches SommermĂ€rchen’ in die GeschichtsbĂŒcher ein, da sich die deutsche Nationalmannschaft zuvor den dritten Rang gegen Portugal sicherte und die Stimmung deshalb ĂŒberall fantastisch war. Public Viewing war von nun an wohl fĂŒr alle Zeiten fester Bestandteil solcher Großveranstaltungen. Bald wurden auch andere Events, zum Beispiel Theater- und FilmvorfĂŒhrungen, Kunstausstellungen und Konzertveranstaltungen auf diese Weise einem breiteren Publikum zugĂ€nglich gemacht und auch Politiker, ja selbst der Papst nutzten diese technischen Möglichkeiten fĂŒr ihre Auftritte. ZurĂŒck nun aber zur aktuellen Fußball-EM 2020. Auch vor dem Eröffnungsspiel TĂŒrkei gegen Italien wurden ĂŒberall Großbildschirme aufgestellt und zum Public Viewing aufgerufen.Tickets fĂŒr PlĂ€tze in den Stadien waren wegen der CoronabeschrĂ€nkungen diesmal noch mehr Mangelware als sonst. FĂŒr mich selbst ist Rudelgucken nur im Stadion eine echte Option, ansonsten bin ich am liebsten zu Hause Zuschauer. Da kann ich mich jeweils ungestört den jeweiligen Fußballspielen widmen, den Sender wechseln oder auf stumm stellen, vor- und zurĂŒckspulen, einen Toilettenstop einschalten oder das GerĂ€t einfach abschalten, wenn das eigene Team die Erwartungen gar nicht erfĂŒllt. Zudem nimmt mir niemand die Sicht und ich kann Speisen und GetrĂ€nke selber wĂ€hlen und muss mir auch keine dummen SprĂŒche anhören. FĂŒr mich ist also Home Viewing deutlich besser als Public Viewing, um Fußballspiele im Fernsehen so richtig geniessen zu können. Auch wenn die Nachbarn sich vielleicht in den nĂ€chsten Tagen darĂŒber wundern sollten, wenn ab und an ein lauter Schrei der Begeisterung aus meiner Wohnung schallt oder ein paar Bierflaschen mehr als ĂŒblich von mir in den Altglas-Container entsorgt werden, sicher ist: ab dem 12. Juli kehrt auch bei mir wieder alltĂ€gliche Ruhe ein und mein SommermĂ€rchen kann dann richtig beginnen.

© Hans-Peter Schaub 2021-06-13

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