von Emma Breuninger
September 1978 – Club Aldiana / Senegal.
Die Sommersaison neigt sich dem Ende zu. Wir haben momentan viele nette Gäste, darunter H. und R., ein junges Arztehepaar aus Berlin (West, natürlich – wir haben 1978!) und eine ältere Dame, die mit einem jungen Mann angereist ist, der nicht ihr Sohn zu sein scheint. Im Club munkelt man, wer dieser junge Mann sein könnte. Vielleicht ihr Liebhaber?
Freitagnachmittag. Am Swimming-Pool wird Bingo gespielt. Die Leute sitzen um den Pool herum und konzentrieren sich auf das Spiel. Einer der Mitspielenden beobachtet eine ältere Dame, die in den Pool steigt und ihre Bahnen schwimmt, konzentriert sich wieder auf Bingo. Einige Minuten später schaut er wieder auf den Pool. Niemand schwimmt dort, aber am Boden des Pools ist ein dunkler Fleck zu sehen. Er reagiert sofort, schreit laut und springt in den Pool, andere folgen ihm. Sie holen die Dame aus dem Pool.
Das junge Arztehepaar aus Berlin ist glücklicherweise auch beim Bingo. Die beiden reanimieren die Frau, sie wacht auf, kann aufstehen und sogar selbständig in ihren Rundalow (wie die runden Bungalows im Club genannt werden) gehen. H. schaut hin und wieder nach. Sie schläft friedlich.
Samstagvormittag. Ich sitze in meinem offenen Büro in der Nähe des Pools. Eine ältere Dame kommt zu mir. Es die Frau mit dem mysteriösen jungen Mann, der nicht ihr Sohn ist. „Hier hast Du mein Flugticket. Ich konnte es Dir gestern nicht bringen. Mir ist doch das Malheur im Pool passiert.“ Ich starre sie an: “DU warst das?”
„Ja, ich weiß nicht, was passiert ist. Ich habe ein Bier getrunken, bin eine Stunde am Strand spazieren gegangen – ohne Kopfbedeckung. Dann bin ich im Pool geschwommen. Und schließlich bin ich in meinem Bett aufgewacht mit Schmerzen im Brustkorb. “Du weißt nicht, dass Du selbständig zu Deinem Rundalow gehen konntest?”. „Nein, nichts davon. Seltsam. Ich war ja schon tot. Und wenn Du mich fragst, wie es war? Da war nichts, einfach gar nichts. Weißt Du, wer mich wieder ins Leben geholt hat? Ein Leben ist unbezahlbar, aber ich möchte mich doch wenigstens bedanken und die Leute einmal sehen.” „Ja, ich kenne die Leute. Glaube, sie sind gerade am Pool.“
Wir gehen hin. Ich mache alle miteinander bekannt. Die Dame bedankt sich. Man fragt, wo in Deutschland man wohnt. In Berlin. Ach, auch in Berlin. Man fragt nach dem Namen. Die Dame nennt ihren. H. stutzt, Fragezeichen in den Augen!
“Sind Sie die Witwe von…?” “Ja, die bin ich!”.
Unser Arztehepaar hatte niemand anderen als die Witwe eines 1974 durch Terroristen der Gruppe „Bewegung 2. Juni“ ermordeten Berliner Kammergerichtspräsidenten gerettet. Und der junge Mann entpuppte sich als ihr Leibwächter, der überzeugt war, dass sein Schützling im Senegal ziemlich sicher war.
Foto: Emma Breuninger / 01.08.1978 – Club Aldiana – Senegal
© Emma Breuninger 2022-11-13