Aufgekratzte Mückenstiche

Nina-Justine Walther

von Nina-Justine Walther

Story

Lola hat beschlossen, dass sie die letzten Tage des Sommers noch mal so richtig genießen müssen. Badesachen unter die Shorts und ab in den Bus. In fünfzig Minuten raus aus der Stadt, feuchte Kniekehlen und rote Flecken vom Beineübereinanderschlagen. Adam hat keine Lust auf Strandbad, würde lieber weiter die Tasten seiner Schreibmaschine anstarren, aber Lola sagt, dass davon auch keine Inspiration kommt.

Baden. Sonnen. Pommessalz. Eigentlich mag Adam Pommes nur mit Mayo, aber Lola versteht nicht, warum man nur Mayo nehmen sollte, wenn man für den gleichen Preis noch Ketchup dazubekommen kann und ehe er sich versieht, ertrinken die frittierten Kartoffelstäbchen in dickflüssiger Tomatensoße. Als sie am Volleyball-Feld vorbeigehen, bleibt Lola abrupt stehen: „Piet?“

Ein Mann mit blonden Locken und Silberohrring dreht sich zu ihr um und verpasst die Annahme. Das gegnerische Team jubelt. „Lola! Mensch, wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen. Drei Jahre bestimmt, oder? Dabei haben wir uns doch damals mit blutigen Zeigefingern geschworen für immer befreundet zu bleiben, egal was passiert.“ Er stapft auf sie zu und wirft seine Fitnessstudioarme um ihre Schultern. Seine Umarmung ist keine Begrüßung, sondern eine Erinnerung. Als er sie wieder loslässt, schielt sie herausfordernd zu ihm hoch: „Du hattest so Angst dir in den Finger zu schneiden.“

„Das Taschenmesser war stumpf und du hast es mit Apfelkorn desinfiziert. Da kann man schon mal kurz zögern.“

„Feigling“, sie zwinkert und betrachtet kurz prüfend die längst verheilte Fingerkuppe. „Habt ihr Lust bei uns zu chillen? Wir haben Bier, Musik, Kartenspiele. Wie klingt das für euch?“ Erst jetzt scheint er Adam überhaupt zu bemerken, der teilnahmelos danebensteht, mit fettig triefender Pommesschale in der Hand darauf wartet zu seinem Handtuch zurückzukommen und inständig hofft, dass Lola das Angebot ausschlägt. Stattdessen sagt sie: „Klingt super. Gerne.“

Vamos a la Playa on repeat und als Adam denkt, dass es nicht mehr schlimmer werden kann, holt Piet seine Ukulele raus und sieht mit dem kleinen Instrument zwischen seinen massigen Armen wahnsinnig lächerlich aus. Lola stimmt direkt mit ein und schmettert den Refrain: „Because maybe you’re gonna be the one that saves me.“ Sie gestikuliert dramatisch in Piets Richtung und gibt sich Mühe beim Singen schön zu klingen, während sie so tut als wäre es ihr egal. Adam flüchtet sich gequält in seine Gedanken und fragt sich, ob Oasis ahnen konnte, dass jeder Trottel mit einem Saiteninstrument sich eines Tages dazu berufen fühlen würde, diesen Song zu performen.

Die Sonne versinkt orange in der glattspiegelnden Oberfläche des Sees und so beginnen sie aufzutauchen, die unbequemen Makel des anderen, die wie Mückenstiche sind. Wenn man anfängt zu kratzen, kann man nicht mehr aufhören und wenn der Sommer vorbei ist, bleiben nur noch Narben übrig.

© Nina-Justine Walther 2022-08-19

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