von Laura Schenk
Denk mal an das futuristische Gebäude, das rechts neben der modernen Kirche steht.
Die Front ist verglast. Dünne, steinerne Streifen durchziehen sie vertikal in unregelmäßigen Abständen und trennen die Fenster voneinander. Die Streifen mal dunkel, mal hell, sodass der Eindruck entsteht, der Stein würde ineinanderfließen.
Weiße Buchstaben sind am Gebäude angebracht: „Pizza“ und „Pasta“. Viele hölzerne Blumenkästen und rote Töpfe, aus denen schmale Bäumchen wachsen. Rote, viereckige Schirme dazwischen.
Denk mal an die blassgelbe Fassade, die hier stand. Die mit den hell umrahmten Fenstern. Das Dach der Flanierterrasse von Säulen gestützt, von oben hängen in regelmäßigen Abständen kugelrunde Lampen herab. Üppige Oleander- und Orangenbäumchen wachsen aus weißen Kästen hervor. „Café français“ steht am Terrassendach und „Conditorei“.
Jetzt – gegen Nachmittag – ist das Café stark besucht. Überall plaudert es und süße Törtchen liegen auf den Tellern, man trinkt Kaffee.
Gerade kommen vier Männer auf die Terrasse. Zwei unterhalten sich, schwenken dabei mit den Armen. Ein dicker mit runder Brille und einer mit freundlichen Augen und schmalen Wangen.
Die beiden dahinter: ganz still. Werfen sich ab und zu einen Blick zu und lächeln dann, als amüsierten sie sich heimlich über das Gespräch der anderen.
Einer von ihnen mit Schnurrbart und fast strengem Gesicht; der neben ihm wirkt beim Lächeln jungenhaft. Dabei ist er lang aufgeschossen und recht mager. Er trägt keinen Bart und nur die großen Augen verraten einen zurückhaltenden Scharfsinn. Oft nicht ganz zu sagen, ob es Witz oder Traurigkeit ist, was man da in ihm sieht.
Einer winkt dem Mann, der vorn in der Ecke sitzt und sich daraufhin zu ihnen gesellt. Es ist Ernst Rowohlt, ein junger Verleger, der sie gleich in ein Gespräch über die neueste Literatur verwickelt. Nur der Vierte schaut über den Platz, der vor ihnen liegt.
Er trinkt einen Kaffee, den man gebracht hat, beobachtet die vorbeiratternde Straßenbahn und die spazierenden Familien. Zwar nickt er und bestätigt auch ab und an etwas, was sein Freund über den letzten Abend sagt, aber eigentlich ist er in Gedanken und Gefühle versunken.
Er horcht tief in sich hinein. Als er gerade als „Verlorensein“ benennen könnte, was er fühlt, merkt er, dass Rowohlt ihn ansieht.
„Und? Haben Sie?“, fragt er.
„Verzeihung?“
„Nachgedacht darüber, was wir gestern besprochen haben. Ich würde gern ein paar Ihrer Texte herausbringen.“
Er blinzelt. Nachgedacht hat er. Aber verstanden hat er es nicht.
Seine Texte? Herausbringen? Veröffentlichen? Etwa in einem eigenen Buch? Max nickt, als er ihm einen Blick zuwirft.
© Laura Schenk 2023-01-06