von Clara Weber
Zufällig treffe ich meine alte Schulkollegin. Ihr Name fällt mir nicht ein, obwohl sie mir vertraut ist. Sie hat keine Ähnlichkeit mit meinen realen Klassenkolleginnen.
Ich will ihr unbedingt erzählen, dass ich über 50 noch schwanger geworden bin. Sie zeigt lachend auf ihren Bauch. Sie ist jünger als ich. “Ah, dann können wir zusammen in die Klinik fahren und gemeinsam gebären“, schlage ich vor. Wie kommen wir jetzt dorthin? Stehen gemeinsam in der Neubaugasse. Mein Handy funktioniert nicht oder ich weiß nicht, wie ich es bedienen soll. Die Freundin sucht ihr Mobiltelefon in ihrer großen Tasche, wo alles durcheinander ist. Wir wenden uns an Passanten, die Rettung zu rufen, denn auch den Weg in die Gebärklinik kennen wir nicht. Die Leute lachen und gehen weiter.
Da steht meine Freundin plötzlich mit einem herzigen Äffchen im Arm, das fest eingewickelt ist. Das ist ihr Baby. Ich freue mich für sie! Wen oder was habe ich gekriegt? Selbst die Hebamme, die jetzt neben uns auf der Straße steht, weiß nicht, was es geworden ist. Unwichtig ob ein Mädchen oder Bub. Es ist ein undefinierbares Tier und verändert sich andauernd in meinen Armen. Ist es ein Fisch, ein Fisch mit Flügeln, ein gepanzertes Tier, ein kleiner Drache, eine Schlange? *Was bist du? “, frage ich.” „Ich bin das, was du dir gewünscht hast“, antwortet es. Ich habe mir aber so etwas nicht gewünscht, ein Äffchen, Kätzchen, Hündchen, aber so etwas nicht. Ich bin traurig und enttäuscht.
Das süße Äffchen meiner Freundin wird einmal ein gutes Leben haben, es ist hübsch, intelligent und kommt aus gutem Hause. Mein Kind jedoch, undefinierbar, nicht gesellschaftsfähig, wird niemand sein, erfolglos. Mir fällt nichts Positives zu meinem Kind ein, auch nicht, dass es sich vielleicht um ein unbekanntes noch nicht erforschtes Tier handeln könnte. Es könnte für die Wissenschaft interessant sein und berühmt werden.
Ich erkenne nun den sozialen Unterschied zwischen meiner ehemaligen Schulkollegin und mir.
© Clara Weber 2023-03-22