von Thomas Vitzthum
Ich bin keiner, der wegen einer oberflĂ€chlichen LungenentzĂŒndung, einem klaffenden WĂŒndchen oder ein paar ĂŒberdehnten BĂ€ndern gleich zum Arzt rennt, um dort mein Leid zu klagen und bunte Pillen abzustauben. Noch habe ich ein funktionierendes, soziales Netz, ich muss zum GlĂŒck noch nicht meiner 24h-Betreuung ausbĂŒchsen, um meine ehemaligen StammtischbrĂŒder zu treffen. Prinzipiell meide ich WarterĂ€ume und allgemeine, bakterielle Stampede so weit als möglich.
Letztens kam jedoch ein Brieflein gelaufen, in dem mir meine Sozialversicherung einen Bonus böte, wenn ich eine Gesundenuntersuchung durchfĂŒhren lieĂe. Sofort habe ich einen Termin gecheckt, zwei Tage vor meinem Geburtstag, Dr. Kittel mich: Punktion, Miktion, HĂ€moccult, Blutdruck, Ultraschall, EKG-chen. Easy Money! Ich war praktisch schon aus dem Behandlungszimmer, als er mich bat, einen Augenblick zu warten. Instinktiv setzte ich mein âdas-ist-doch-nicht-notwendig-LĂ€chelnâ auf, doch anstatt eines unverkĂ€uflichen Ărztemusters mit bunten Pillen, ĂŒbergab er mir eine Ăberweisung fĂŒr einen Urologen meiner Wahl.
Ich schlurfte gruĂlos an einigen meiner StammtischbrĂŒder vorbei und versenkte mich ins Auto. Nervöse Augen scannten die Ăberweisung, dank meines Faibles fĂŒr Sumerische Keilschrift konnte ich den Zuweisungscode entschlĂŒsseln: âRoutinecheck Eier/DrĂŒse, mit kollegialen GrĂŒĂen, Kittel.â
EinigermaĂen erleichtert tippte ich am Abend den Suchbegriff âUrologische Praxis, Mann!â ein, studierte Bewertungen von Google, docfinder und TripAdvisor, gab die Mindestdistanz zum Wohnort mit 100 km ein, niemand sollte mich kennen. Drei Tage und 135km nach meinem Geburtstag spĂ€ter, öffnete ich schĂŒchtern die TĂŒr zur Praxis und meine ehemalige Schulkollegin Johanna fiel mir um den Hals. Mindestens 30 Jahre mĂŒsse es her sein, als wir uns das letzte Mal gesehen hĂ€tten, sie vertrete ausnahmsweise heute ihren Mann in der Praxis, was wir denn schönes machten: Vasektomie, Urodynamik oder einfacher Prostatacheck? Ich loggte Antwort âCâ ein und trottete ihr nach.
âDu weiĂt, wieâs lĂ€uft?â, bemerkte sie, trotz der Wiedersehensfreude, meine gedĂ€mpfte Euphorie.
âNaja, schon.â, und hievte mich auf die Untersuchungsliege. WĂ€hrend sie die ElastizitĂ€t der Harnblase, die Haltbarkeit meines Penis und die Hodenhaftung mit einfĂŒhrenden Worten begleitete, dachte ich an die berĂŒhmte Szene von âThe Shiningâ. Der folgende Dialog fand nur hinter meinen geschlossenen Augen statt:âLittle Pig, little Pig, let me come in!â – âNo, no, by the hair on my chinny chin chin.â
Johanna streifte ihre Handschuhe ab, sagte, dass alles in Ordnung wĂ€re, der Befund dem Kittel zugeschickt werden wĂŒrde, ich gut ausschaute und wir uns doch mal auf ein Achterl treffen sollten, wenn ich wieder mal in der Gegend wĂ€re. Ich nickte, bezahlte, nahm ihre Honorarnote entgegen, lĂ€chelte zurĂŒck, positionierte mich in den Autositz und stimmte mir zu, dass Gesundheit unbezahlbar wĂ€re.
© Thomas Vitzthum 2020-08-29