von Lotte Maria Kaml
Übermut, Neugier, Langeweile, was auch immer. Irgendetwas trieb mich da hin. Zur Wahrsagerin, zum Astrologen, zu den Treffen beim Pendler in der abgefuckten Kneipe. Um vier Uhr früh, nach Dienstschluss. Meine Erfahrungen mit dem „Übersinnlichen“ waren vielfältig.
Der Astrologe verwirrte mich etwas mit seiner Vorlage auf Pappe, mit dem er mir die Sternbilder, den Lauf der Welt und des Lebens zu erklären versuchte. Gut, in einem hatte er schon recht. Als es ins Detail ging, zum Thema, das mir mit Anfang 20 am wichtigsten war, also die Zukunft mit dem Mann meiner Träume, schüttelte er nur den Kopf, kratzte sich ausgiebig am Kinn und sagte: „Oje, oje. Behalt ihn als Freund, wenn es sein muss, aber heirat´ ihn bloß nicht. Auf die Frage „Warum denn nicht?“ nuschelte er nur: „Wähle nicht den Falschen, du kannst es dir noch aussuchen!“ War kein schlechter Rat. Eigentlich sein Geld wert. Wenn ich auf ihn gehört hätte…
Als nächstes war „Tischerl rucken“ angesagt. Ein Arbeitskollege war darin Spezialist. Wir saßen im Kreis, vor uns ein umgedrehtes Bierglas. Aus Papier hatten wir die Buchstaben des Alphabetes ausgeschnitten und es drum herum aufgelegt. Dann löschten wir das Licht, nur ein paar Kerzen brannten. Jeder von uns legte einen Finger auf das Glas. Und – Gänsehaut pur – plötzlich machte das Glas einen Hupfer. Zu einem Buchstaben-Zettel. Ganz von selbst. Der Geist war da! Ein Verstorbener, der mit uns in Kontakt treten und uns etwas Wichtiges sagen wollte. Seltsamerweise kam es nie zu einem vollständigem Satz, uns fehlte wohl der Draht zu dem geheimnisvollen Ahnen. Oder wir verstanden einfach seine Sprache nicht.
Aber richtig gruselig wurde es für mich beim Pendler. Heute kann ich darüber lachen, aber ich muss zugeben, dass diese Sache lange Zeit immer wieder in meinem Kopf herumgegeistert ist. Der Typ war zu fortgeschrittener Stunde nicht mehr ganz taufrisch, aber ich ließ mich überreden. Das Pendel bewegte sich zuerst langsam, dann immer schneller über meiner Hand. Schließlich begann es, beinahe hysterisch, zu kreisen.
Der Pendel-Profi sprang auf, schmiss dabei seinen Stuhl um und sah mich ernst an. „Du, das tut mir leid. Aber deinen 35er kannst DU nicht mehr feiern!“ Dann haute er ab. Wir saßen da, wussten nicht, wie wir auf diesen Satz reagieren sollten. Nach Lachen war uns nicht zumute. Die Stimmung war angespannt. Dann einigten wir uns darauf, dass es eine „besoffene Gschicht“ war, alles andere als witzig, aber unwichtig.
In dieser Nacht hat sich etwas in mir eingenistet. In meinem Kopf. Ein kleiner Gedanke, kaum greifbar. Absurd. Der Gedanke „Was wäre, wenn … wirklich?“ Von da an distanzierte ich mich von diesen spiritistischen Unternehmungen. Und – an meinem 35. Geburtstag dachte ich mir: wie blöd bist du eigentlich? Und was war das damals für ein Scheißkerl, der das witzig fand? Eine kleine Ahnung stieg in mir auf: wie leicht es doch ist, Menschen zu beeinflussen. Eine Lehre fürs Leben.
© Lotte Maria Kaml 2020-11-14