Auspacken

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Soweit ich mich zurückerinnere, hat der bloße Anblick der Weihnachtspackerl, die jedes Jahr rund um den Christbaum lagen, mein Herz erfreut. Ja, fast Verzückung ausgelöst, aber sonderbarerweise war’s gar nicht so sehr der Umstand, dass es sich um Geschenke handelte, die bei der Bescherung alle ausgepackt würden. Was für mich eine besondere Augenweide war, und daran hat sich bis heute nichts geändert, sind Geschenke im Zustand des Noch-verpackt-Seins.

Sie sind wie Geheimnisse, die erst gelüftet werden. Überraschungen, die bevorstehen. Hoffnung, dass sich ein Wunsch erfüllen möge. Es ist der Zauber des Davor.

Geschenkpapier. Bereits im Spätherbst wird es in Supermärkten feilgeboten in Rollen (3m x 0,7m) oder in Bögen (DIN A2). Verpackungsmaterial und Deko. Alle paar Jahre deck‘ ich mich ein. Ich habe immer Geschenkpapier vorrätig. Bunt und glamourös. Mit Glitzer oder nachhaltig schlicht.

Am Christtag sind die Papiercontainer randvoll damit. Zerknittert, zerknüllt und zusammengeballt, zerrissen und zerfetzt. Achtlos hineingestopft. Da und dort ein fast unversehrter Bogen wunderschönen Papiers, die Klebestreifen in den Ecken noch dran. Goldene Schleifen, gekringelte Bänder. Der Zauber ist vorbei.

Ich beobachte gerne Menschen, wie sie Geschenke auspacken. Ich weiß nicht, ob es zulässig ist, Rückschlüsse auf den Charakter zu ziehen. Ich jedenfalls lasse mir beim Auspacken ganz viel Zeit. Ich achte darauf, dass das Papier so wenig wie möglich eingerissen wird, aus einem ganz bestimmten Grund.

Ich war schon als Kind so. Ich habe die Tixostreifen vorsichtig vom Papier gekletzelt, Geschenkbänder entwirrt und entknotet. Ich habe das Auspacken der Geschenke zelebriert.

Im Wohnzimmerverbau gab es eine Lade, in der meine Mutter Geschenkpapier aufbewahrte. Jedes Jahr nach der Bescherung wurde das Papier glattgestrichen, ordentlich aufeinander gelegt, tags darauf gebügelt und fürs nächste Jahr aufgehoben und wieder verwendet. Ich weiß, dass sie das aus Sparsamkeitsgründen machte. Es war ganz normal, und niemand dachte sich etwas dabei. Im Jahr darauf wusste ich, in welchem Papier manche meiner Geschenke eingepackt waren, was meine Mutter verblüffte.

Ich habe seltsamerweise die Angewohnheit meiner Mutter übernommen, aus anderen Gründen. Mich stört die Wegwerfmentalität unserer Gesellschaft. Papier, das mir besonders gefällt, nehm‘ ich aus dem Container, und sofern es sich lohnt, falt‘ ich es in der Wohnung auseinander, glätte und bügle es, so wie es meine Mutter gemacht hat.

Auspacken. Weihnachten ist ein Fest, bei dem oftmals alte Familienmuster aufbrechen. Nicht nur schöne Erinnerungen kommen zutage, auch schmerzliche. Wenn Menschen, die mir nahe sind, Zwistigkeiten auspacken, von denen ich glaubte, dass sie längst beigelegt wurden, dann kann das manchmal wehtun und sich so anfühlen, wie wenn Geschenkpapier unbedacht zerrissen und gedankenlos ins Eck geschmissen wird.

© Sonja M. Winkler 2020-12-30

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