Ausrede und Wirkung

Kerry-Lynn Neumann

von Kerry-Lynn Neumann

Story

„Dies ist Erziehung. Kinder werden zu leistungsfähigen Menschen erzogen.“ Schallt es in meinen Ohren, während ich versuche mich auf meine eigenen Gedanken zu konzentrieren. Ich reibe mir mit dem Handrücken über die Augen. Fehlt eigentlich nur, dass sie meint, Erziehung bedeutet Kulturgut: höher, schneller, weiter. Die Tränen steigen auf, mühsam versuche ich sie zu unterdrücken. Innerlich kochend vor Wut. Das ist das, was wir den Kindern unterbewusst mitgeben sollen? Dass sie leistungsfähig werden! In mir tobt es. Ich fühle mich verraten und betrogen. Die Jahre der harten Arbeit, alles was ich auf mich genommen habe. Einfach weggewischt durch eine dämliche Definition, in der Ansicht eingeschränkte Auszubildende und das nach den letzten Monaten. Die Schmerzen, gefühlt umsonst. Ich stand auf, ging zur Toilette, beruhigte mich und kehrte als neuer Mensch in die Klasse zurück. Eine Woche nahm ich mir daraufhin, um meine Gedanken und Gefühle zu ordnen. So habe ich mir das nicht vorgestellt, aber dennoch. So kann und will ich keine Erzieherin werden. Es ist mir egal, dass ich diese Definition anders ausleben und definieren kann. Im Handbuch steht quasi alles anders. Theorie und Praxis. Es wird viel gesagt, gezeigt und dann ist es anders. Wahrscheinlich wollte ich es zu sehr, hatte falsche Vorstellungen oder die unsoziale Art und Weise des „professionellen Umfeldes“ dort hat die Mauer um mein Herz verdichtet. Ich ging mit Bauchschmerzen zur Ausbildung, hatte Albträume, fing aus dem Nichts an zu weinen, stand wie gelähmt in der Küche beim Gedanken an das nächste Ungewisse und zwei volle Jahre mit Qualen, war unglücklich und wollte nicht mehr aus dem Zug aussteigen, machte alternative Pläne, drehte und wendete das Blatt in meiner Hand und kam zu dem Schluss die Karten für dieses Spiel endgültig niederzulegen. Ich wollte wissen, ob ich es kann. Ja, ich kann alles schaffen, was ich will. Nur bin ich nicht mehr bereit es zu jedem Preis zu tun. Meine Gesundheit ist wichtiger. Ich weiß, dass dies eine privilegierte Position ist. Aber ich habe nun mal einen Menschen der meine Fahne hochhält, wenn sie mir zu schwer wird. Manch einer ist neidisch oder findet es unfair meinem Partner gegenüber. Wir lieben uns, kämpfen füreinander und miteinander. Das machen Menschen im Allgemeinen immer, wenn sie einen so ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und Liebe füreinander in sich tragen. So viele Menschen haben unsere Beziehung bewertet, ohne uns zu kennen. Das hat uns gestärkt. Mein (vermeintliches) Scheitern demotiviert mich zwar, aber ich komme näher an mein eigentliches Ziel und ich sehe es klarer und deutlicher vor mir. Ich tue mittlerweile das gleiche wie mein Mann zuvor bei mir und er fällt dadurch leichter, weil ich die Gefühle, Gedanken und die innere Einsamkeit nur zu gut kenne. Die Zweifel, die Unsicherheit und die Schmerzen, die zu Leid werden können. Ich halte die Fahne oder zur Not auch den Spiegel für meine Liebsten. Damit sie endlich sehen, was ich sehe. Starke, übermenschliche, unperfekte, manchmal auch unsoziale und dennoch liebenswerte Menschen. So wie ich selbst. Es ist eine menschliche Erfahrung. Wir sind weder unfehlbar noch Roboter ohne Gefühle. Mir reicht der Gedanke einem einzigen Kind das Gefühl zu geben, es werde nur geliebt, wenn es Leistung erbringt. Dem ist nicht so. Ich habe die richtigen Leute gefunden. John und Lizza. Jeder verdient uneingeschränkte Liebe.

© Kerry-Lynn Neumann 2025-01-26

Genres
Romane & Erzählungen