von Weudl
Still und heimlich verzieht sich mein kleines achtjähriges Ich aus dem Badezimmer. Es ist verwirrt, aufgeregt und tatsächlich ein wenig neugierig. Neugierig, weil es nicht weiß, wie die Situation bewertet oder geahndet wird. Es verkrümelt sich in einer Ecke, nimmt ein Buch zur Hand und liest unauffällig. Plötzlich ertönt ein Schrei samt gleichzeitigem Stöhnen und der lauten Frage nach: Was ist denn hier nur geschehen? Zum Teufel noch einmal!
Behutsam legt mein kleines Ich das Buch auf die Seite und sieht sich verwundert um. Meine Mutter stürmt ins Wohnzimmer und sucht mit leicht rasendem Blick nach einem Schuldigen. Mit einem engelsgleichen Blick und leicht zitternder Stimme fragt mein Ich: Was ist denn passiert, Mama? Sie wedelt nur wild mit den Armen und flüstert: Das ganze Badezimmer steht unter Wasser.
Mit dem Blick des gestiefelten Katers spricht mein Ich zu ihr: Der Raubritter Heinrich hat die Grafschaft von und zu Laxenburg angegriffen und es kam zu einer totalitären Überschwemmung des Burggrabens. Natürlich wurde er mit sofortiger Wirkung verbannt und ins Exil befördert, aber das gemeine Fußvolk des Regenten von Laxenburg schaffte es nicht, die Wassermengen zurück in den Burggraben zu kippen. Vollkommen erschöpft gab es auf und nahm die Überflutung in Kauf, unwissend, dass dadurch eine üppige Ernte das Volk entschädigen würde.
Die schäumende Wut verblasst langsam und man kann erkennen, wie sie sich ein wenig beruhigt. Meine Phantasie hat ihr den aufkeimenden Unmut genommen.
Zwei Jahre später stehe ich als nun zehnjähriger meiner brutal hübschen Volksschullehrerin gegenüber. Sie liest meinen Namen vor und nun erwartet die ganze Klasse von mir, dass ich nach vorne gehe und ihr das Hausübungsheft abgebe. Was niemand in dem Klassenzimmer weiß, ist, dass ich heute zum ersten Mal keine Aufgabe mit habe. Mit gesenktem Blick fange ich an zu erzählen: Liebe Frau Lehrerin, es hat sich gestern ein seltenes Schauspiel zugetan. Eine Nymphe hat mich in ihren Bann gezogen und versucht meinen Verstand zu manipulieren. Sie verzauberte meine Gedanken und ließ mich über den Wolken schweben. Und als wir so über die…
…weiter sollte ich nicht kommen. Meine brutal heiße Lehrerin verdrehte die Augen, seufzte und deutete mir mich zu setzen. Also gehorchte ich und träumte von dem Flug mit meiner Nymphe.
In der Unterstufe war ich permanent unterfordert und damit ich den LehrerInnen und MitschülerInnen nicht auf die Nerven gehen konnte, wurde ich als Bote für die Direktorin eingesetzt. Diese ach so cleveren Erwachsenen haben mich also endlich durchschaut und meine Ausreden dazu benutzt mich endlich stillzulegen. Mit der Beschäftigung als Laufbursche neigte sich meine Karriere als Märchenonkel und Schwindelkaiser langsam dem Ende zu. Zeitgleich brach ich aber auf in die phantastischen Welten von Herr der Ringe. Zwischen Orks und Zauberern kroch ich durch Mordor und wenn Frodo den Ring benutzte, verschwand auch ich mit ihm.
© Weudl 2022-06-25