von Jökull
Mit einer Ladung norwegischem Kunstdünger navigieren wir in Richtung Öresund. An der Steuerbordseite liegt das dänische Helsingør mit dem Kronborg Slot. Dieses ist dank William Shakespeare vielen als Hamletschloss ein Begriff. Gegenüber auf der schwedischen Seite liegt Helsingborg. Hier wollen wir unsere Fracht loswerden.
Die Hafenbecken reihen sich übersichtlich entlang der Küste. Die parallel laufende Järnvägsgatan trennt den Hafen vom Ausgehviertel. Der Chief wittert mindestens ein Steakrestaurant und ich mindestens ein Lokal mit Livemusik. An der belebten Straße reihen sich die infrage kommenden Lokale. Jedoch fehlt es mal an dem einen, mal an dem anderen.
In einer ruhigen Straße in zweiter Reihe werden wir fündig. Charles Dickens‘ Bar und Restaurant huldigt einem nicht minder bekannten englischen Literaten. Dickens‘ Feder entstammen unter anderem „David Copperfield“ und „Oliver Twist“. Während eine Jazzband für gepflegte Stimmung sorgt, wählen wir aus der Karte das übliche Repertoire. Cucky mag sein Steak „underdone“ mit einem Hauch von Blut. Das Bier ist etwas günstiger als in Norwegen, aber noch weit weg von den Duty-free-Preisen an Bord. Gesättigt und in bester Stimmung wagen wir uns auf die Tanzfläche. Früher als sonst gehen wir zum Schiff zurück.
Am nächsten Tag wird der nautische Inspektor der Reederei erwartet. Als Privatpilot fliegt er selbst die Hafenstädte an, in denen die Schiffe gerade liegen. Die Reederei hat sich dazu entschlossen, ihr Schiff nach anderen Modalitäten zu verchartern. Bareboat Charter bedeutet grob, dass nur die personelle und technische Betreuung beim Eigner bleibt. Der Charterer mietet das Schiff für einen festgelegten Zeitraum und Preis. Er kümmert sich um Fracht und trägt die Kosten für Reparaturen, Betriebsstoffe und Gebühren. Diese Konstellation erlaubt im Rahmen des Flaggenrechts die Ausflaggung. Dabei bleibt das Schiff ohne Änderung der Eigentumsverhältnisse im deutschen Seeschiffsregister. Es fährt aber unter der Flagge eines anderen Landes. Nebenbei lassen sich so auch Steuern, Abgaben und Personalkosten einsparen.
In diesem Fall ist der Charterer eine altehrwürdige Reederei aus den Zeiten der K&K-Monarchie. Mit sofortiger Wirkung führt unser Schiff die Flagge Österreichs. Der deutsche Heimathafen bleibt bestehen. Vom Flaggenwechsel hat die Crew nichts mitbekommen. Während des Entladens wurde die deutsche gegen die österreichische Flagge getauscht. Keine Zeremonie, kein Umtrunk haben diesen Vorgang gewürdigt. Aber ich darf mich nun als Seemann in der österreichischen Handelsmarine fühlen.
Rot-weiß-rot begegnet Schiffsbesatzungen auch anderswo auf See- und Binnenschifffahrtsstraßen. Das Seezeichen bedeutet „Verbot der Durchfahrt und Sperrung der Schifffahrt“. Die Vermutung, es handele sich dahinter um österreichisches Hoheitsgebiet, ist manchmal wünschenswert, aber dennoch abwegig.
© Jökull 2021-04-04