Autismus und Strichmännchen

Esra Kurt

von Esra Kurt

Story

Neben naiver Malerei mag ich Strichmännchen sehr gerne. Nun werdet ihr euch sicherlich fragen: „Strichmännchen? Ist das nicht etwas für Kleinkinder?“ Meine Antwort hierzu lautet: „Mitnichten, denn Strichmännchen sind ausdrucksstärker als man zuerst denken mag!“

Schon oft war ich frustriert, weil ich ein Bild nicht detailliert oder in realistischer Manier zeichnen konnte. Außerdem macht es mir keinen Spaß, die vielen Einzelheiten von altmeisterlichen Gemälden bis zum letzten Sandkorn zu analysieren.

Doch woran liegt es, dass ich Strichmännchen lieber mag als raffinierte Gemälde oder professionelle Stockfotos? Nun, ich möchte es euch erklären: Da ich Autistin bin, fällt es mir schwer, mit vielen Reizen auf einmal umzugehen. Mein Kopf ermüdet dann und ich bin den Rest des Tages erschöpft.

Dies gilt auch für Bilder, die vor Einzelheiten strotzen. Das ist für mich genauso anstrengend wie ein Raum, in dem ein Volksauflauf herrscht. Mittlerweile reagiere ich sehr empfindlich auf penetrante Reize. Jedoch weiß ich nicht, woran das liegt, aber das habe ich seit 2019/2020 vermehrt feststellen müssen.

Seit Ende April zeichne ich aus diesem Grund Strichmännchen, um mich zu entspannen. Mit diesen minimalistischen Zeichnungen kann man jede Menge Geschichten erzählen. Zudem können sie meiner Meinung nach mit Stockfotos mithalten, aber mit Individualität im Gepäck.

Ich wünschte, es gäbe Grafikdesign wie Buchcover oder Postkarten, in denen Strichmännchen die Hauptrolle einnehmen. Mir ist bewusst, dass man sich nicht als Grafiker bezeichnen darf, wenn man nur Strichmännchen zeichnen kann oder will.

Aber das Hobby finde ich Strichmännchen nicht schlecht. So kommt es, dass ich inzwischen jeden Tag Strichmännchen zeichne. Sie sind das einzige Gebiet in der Zeichnung, welches ich ohne Frust bis in den Abend hinein üben kann.

Ich finde, dass Strichmännchen viele Möglichkeiten bieten. Auch zur Kommunikation mit Autisten. Schon oft habe ich mithilfe der simplen Bildchen den Mitmenschen meine Gefühle besser erklären können.

Letztendlich ist es mir wichtig, dass ich mich entspannen kann. Sonst werde ich unruhig und das ist auch für meine Mitmenschen sehr unangenehm. Somit gilt, dass Strichmännchen in meinen Augen so wirksam sind wie Yoga.

Ja, auch diese unscheinbaren Zeichnungen leisten einen guten Beitrag zur Achtsamkeit. Aus diesem Grund möchte ich die Welt mit Strichmännchen beglücken!

© Esra Kurt 2020-05-19

Hashtags