von Jana Puschmann
Papa sagt: „Versuch, zu schlafen.“ Ich schaue nach hinten, sehe alle schlummern. Mama, meine Schwester, meinen kleinen Bruder. Mein großer sitzt neben mir und hört Musik mit dem Walkman. „Wie weit ist es denn noch?“, frage ich. „Boah, Jana, nicht dein Ernst, oder? Wir fahrn grade ne halbe Stunde.“ Mein großer Bruder ist genervt. Dabei weiß er gar nicht, warum ich frage. Ich kann die Strecke schon abschätzen. Papa sagt immer, ich muss mir nur drei Städte bis Freiburg merken: Dortmund, Frankfurt, Basel. Im Moment steht Dortmund noch auf den riesig blauen Schildern. Es muss also noch sehr weit sein.
„Ich wollte nur wissen, wie viele Stücke…“ Papa schmunzelt: „Der ganze Kuchen ist noch da, ist erst angeknabbert.“ Damit gebe ich mich zufrieden, strecke meinem Bruder die Zunge raus. Papa fährt uns weiter durch die Nacht. Vor Aufregung kann ich nicht schlafen. In ein paar Stunden sind wir im Urlaub. Zelt aufbauen, Wohnwagen herrichten, Freibad, Spätzle, Federball und Flaschenwerfen. Die Vorfreude ist groß. Doch irgendwann siegt die Langeweile. Im Sauerland die erste Rast. Papa kontrolliert die Anhängerkupplung, Mama verteilt Capri Sonne. Dann weiter. Jetzt schlafe ich ein. Hinter Frankfurt wache ich auf. Gespannt blicke ich Papa an. „Und?“ „Die Hälfte ist weg.“ Hört sich gut an. Ich bin frohen Mutes, dass ich es schaffe. Auf den riesig blauen Schildern suche und finde ich „Basel“. Ich weiß auch, dass wir gar nicht bis Basel müssen. Das liegt schon in der Schweiz. Also konzentriere ich mich auf „Freiburg“. Doch nichts. In Bruchsal machen wir wieder Pause. Raststätten-Pommes. Ich hake aber wegen des Kuchens nach. „Ein paar Stücke.“ Ziemlich unpräzise von Papa. Ein paar Stücke? Zurück im Auto lenkt Mama uns ab: „Ich sehe was, das du nicht siehst“ und Nummernschilder-Raten. Es gelingt nur kurz. Mein kleiner Bruder quengelt, mein großer muss Pipi. Mir brennen die Augen, weil ich jedes Schild absuche. Und endlich – ich habe gar nicht gefragt – sagt Papa: „Letztes Stück, Jana!“ Ein Stück. Das ist fast nichts; heißt: ich muss schon meine Schuhe anziehen. Plötzlich taucht auch „Freiburg“ auf. Wir verlassen die Autobahn. Dann kommt die enge Stelle, an der Papa jedes Mal zittert, wer ihm entgegenkommt. Für mich ist sie das Schönste. Wenn sie geschafft ist, sagt er immer: „Jetzt sind es nur noch Krümel.“
Nur noch Krümel auf dem Teller. Mein Herz klopft. Als wir auf den Campingplatz fahren, habe ich alle Strapazen vergessen. Der Kuchen ist verputzt. Der Urlaub kann beginnen.
© Jana Puschmann 2022-08-09