Wolfgang Mayer König
Der Hang zum Fürsichsein, dieses „sestesso“ wie es
Leonardo da Vinci benennt, ist kein blanker Egozentrismus sondern eine
Arbeitsvoraussetzung für literarisches Schaffen, das sich auf
Individualität in der Vielfalt gründet. Trotzdem sind wir zeitgenössischen
Autoren eben gleichzeitige, wie das Wort schon besagt. Wenn
man es auch nicht für möglich halten würde angesichts des
Konkurrenzverhaltens vieler Autoren, für die der Futtertrog stets zu
schmal zu sein scheint. Das ist er ja ohnehin, viel zu schmal.
Aber müßte nach dieser trivialen Erkenntnis das
Verhalten nicht längst schon ein diametral entgegengesetztes sein. Gegenseitige Hilfe
und wechselseitiges Verständnis, wenigstens Interesse, wäre angesagt.
Ich habe im Umgang mit Literatur nie das Gefühl gehabt, mich durch
etwas totes oder lebloses durcharbeiten zu müssen, sondern mich
interessierten vor allen die Hervorbringnisse der jetzigen AutorInnen. So
habe ich 1967/68 einen Literaturpreis ins Leben gerufen, den ich bei der
Hochschülerschaft ansiedelte, und welchen ich als erster Preisträgerin
Elfriede Jelinek für Ihre ersten,noch unveröffentlichten Texte zuerkannte.
Ich holte Reinhard Priessnitz, Heidi Pataki, Wolfgang Bauer, Klaus
Hoffer, Werner Kofler, Peter Henisch, Gert Jonke, Joseph Zoderer, erstmals an die Universität Wien, um ihnen die
Möglichkeit zu geben, ihre Texte vorzustellen und über die Möglichkeiten
der- und für die Literatur zu sprechen. Ich lud dazu arrivierte Autoren wie
Martin Walser, Karl Krolow, Elias Canetti, Ernst Meister, Hans Egon
Holthusen, Hans Erich Nossack, Hilde Spiel, Ernst Jandl, Friedericke
Mayröcker, Gerhard Fritsch, Peter Weiß, Erich Fried, Dieter Hasselblatt,
Hansjörg Schmitthenner, Wolfgang Weyrauch, auch den prätentiösen
Marcel Reich-Ranicki, den die Autoren und Studenten schon die Schneid
abkauften, und viele andere ein. Es ergaben sich spontan Gespräche
über Texte und Arbeitssituationen.
Das war der Stellenwert, den die Schriften anderer Autoren bei mir, und
natürlich dementsprechend auch auf meine literarische Arbeit bezogen,
einnahmen. Andere Autoren sind immer für mich etwas Gleichzeitiges,
Gleichwertiges, für den kulturellen Austausch Lebensnotwendiges. Wenn
ich auch sagen muss, dass es einem die Kollegen nicht immer leicht
machen und das unbedarfte Intrigantentum eher zunimmt. Die
fruchtbaren 60er und 70er Jahre sind vorbei, es macht sich eine
selbstverliebte Nabelschau breit, die noch dazu von den Protagonisten
der literarischen Vereine in ihrer Sucht befördert wird, zu allem und
jedem seinen Senf dazugeben und politisches Kleingeld machen zu
müssen. Kollegialitäten und Freundschaften unter Autoren, die den
Namen verdienen, sind dadurch seltener geworden, was auch
bedauernswerter Weise eine Verarmung des literarischen Milieus, das ja
ein Gegengewicht zum abgewirtschafteten Literaturbetrieb sein könnte,
mit sich bringt.
© Wolfgang Mayer König 2021-07-04