AUTOSTOP2: I’m a London Girl!

PETER MANDL

von PETER MANDL

Story

1965 habe ich vier Monate frei. Urlaub bezahlt plus unbezahlt, wieder Autostop mit Hermann. Er ist ein bisserl anglophil, weil er seine chemischen Doktorate mit meinen aus der DDR geschmuggelten Fachbüchern auf Englisch erwerben soll.

In London, Victoria St. versenken wir gleich einmal unser Schulenglisch, das mit dem Brixtoner Cockney nicht kompatibel ist. Quartier für mehrere Wochen:Lehrlingsherberge in South Kensington, nahe Chelsea Football Ground, 2 Pounds six per Woche inkl. Tee, Margarine und Styropor- Weißbrot. Wir flanieren ohne Geld durch Petticoat Lane, Carnaby Street, Kings Road, fahren schwarz ins East End, wo wir gegen sofortigen steuerfreien Stundenlohn von 5sh. mit Indern und Pakistani Erdäpfel schälen, schauen im Marquee Club bei The Who vorbei, leben von fish’n’chips.

Einige Höhepunkte der großen Daumenreise durch England, Schottland, Wales und vor allem Irland: bei Newcastle fahren wir stehend in einem einsitzigen offenen Milchwagen. Das Youth Hostel im schottischen Glen Nevis hat keine Fensterscheiben. Beim Zähneputzen irgendwo in der westirischen County Galway fragt plötzlich ein schwarzhaariger Orientale: saz es aa aus Wean? Persische Studenten sind sehr sprachbegabt.

Am Weg nach Irland werden wir kurz vor der Fähre Holyhead-Dun Laoghaire abgesetzt. Zwei jugendliche Radfahrerinnen rollen heran, ich praktiziere in meiner unwiderstehlichen Art Bicyclestop. Sie heißt Susan, ist 15,Tochter eines Spielzeugfabrikanten und lädt mich für meine spätere Rückreise zu ihrer vielköpfigen Familie ein. Andauernd betont sie “but I’m a London girl”, will also keine Landpomeranze sein und schenkt mir ein breathtaking Bikini-Foto.

Hermann muss nach 2 Monaten zum Studium, ich bleibe allein, inhaliere das eine oder andere Pint o’Guinness in Cork, Killarney oder im Dubliner Brazen Head und lausche den spontanen Songs und Reels vom ewigen irischen Kampf gegen die britischen Unterdrücker, von Roddy Mc. Corley, Kathleen ’ni Houlihan. God save Ireland said the Heroes. . whether on the gallows high or the battlefield we die. .

Am Rückweg ins Empire besuche ich Susan, spiele mit ihren kleinen Geschwistern, lehre die großen dreieinhalb Worte Deutsch und verspreche to return some day. Es sollten 10 Jahre werden.

Zurück im (damals) Swinging London will ich eine Karte für das Ländermatch gegen Österreich am 20.10.1965 bestellen. Zwei alte Cockneys: “You can buy the Ticket for the gaim on the saim dai”. Es scheint eine g’mahte Wiesn für die Three Lions, zu minder für Vorverkauf.

Eine einzige Kasse ist geöffnet. Als Austria-und Simmering-Anhänger tut es mir weh, dass so ein Haufen Rapidler spielt. Anyway: der 19-jährige Toni Fritsch gibt beim Stand von 2:1 für England dem Goalie Springett die “Gurke”(73.Min.) und haut in der 81. aus 30m eine “Kandl” ins rechte Kreuzeck, dass ganz Wembley wackelt. 2:3. Es ist Englands zweite Niederlage in der Geschichte. Im folgenden Jahr werden sie Weltmeister.

© PETER MANDL 2021-02-27