Liebste Rosemarie, Bad Aibling, 25.12.1945
Es ist Weihnachten und hier im Lager haben wir einen Weihnachtsbaum aufgestellt und an Heiligabend zusammen „Stille Nacht“ gesungen. Auch die Amerikaner haben mitgemacht. Im Lager habe ich einen sehr netten Menschen kennengelernt. Er heißt Dr. Rudolf Baumgardt und er ist Schriftsteller. Und da ich in der Schreibstube alle Büroarbeiten erledige und sehr gut Maschinenschreiben kann, hat er mich gebeten, ein von ihm verfasstes Gedicht zu schreiben. Er hat es mir diktiert und ich möchte es Dir schenken:
Friedensgedicht
Einmal werden wir wieder im Leben stehen
Und mit der Liebsten durch glitzernde Gassen gehen
Dann verschwinden gewiss in der schattenden Nacht
All die Ruinen, die Trichter, der Bombenschacht,
Und in dem Licht, das aus funkelnden Sternen fällt,
Schauen wir in eine neue verwandelte Welt.
Einmal sind auch die bösesten Wunden vernarbt,
Übrig bleibt aber die Trauer, dass Ihr uns starbt,
Dass wir nicht wissen, wo Eure Gräber zerstreut,
Und uns das Wort, da wir nicht gesprochen, nun reut.
Ja, die Welt auf deren Glanz wir uns freuen,
Wird dann ohne Euch dunkel und einsam sein.
Einmal wird an einem verschlossenen Tor
Jeder erst merken, was er in Schmerzen verlor
Und nur, wer weiter denkt, und trotzdem nicht vergisst,
Kann jenen Schlüssel auch finden, der nötig ist.
Durch ihn öffnet er in einem gereinigten Sinn,
Damit aus tausend Opfern werde Gewinn
Endlich die Pforte des Lebens zu frischem Beginn.
Frohe Weihnachten!
© Wolfgang-Arnold Müller 2024-02-25