von Benjamin Lenz
Es war das zweite Mal, dass er das Mädchen mit dem zerlesenen Reclamheft sah. Auf den gitternen Bahnhofsitzen, unter denen die Steine mit Kaugummis gepflastert waren, die der Smog schwarz gefärbt hatte. Die Hälfte des Heftes war umgeknickt, grobe Gebrauchsspuren von Menschen, die Bücher besaßen, um sie zu lesen und nicht nur, um sie in den Schrank zu stellen. Den Titel konnte er nicht lesen, die Schrift war klein und es war ihm auch egal. Das erste Mal war vor einer Woche gewesen, in einem Schnellrestaurant am Bahnhof, nachts. Sie aß Sandwich. Dann wurde sie lautstark gebeten, das Lokal zu verlassen, um eigene Speisen zu verzehren. In dem Bahnhof gab es sonst keine Plätze, an denen man vernünftig essen konnte, alle Läden hatten zu und das Schnellrestaurant war das einzige, das rund um die Uhr aufhatte. Es war nicht so, als hätte sie einem Kunden einen Platz weggenommen, der Laden war praktisch leer. Wenn es nicht einfach das verquere Gastronomie-Gesetz war, wollte die mollige Frau, die das schwarz-braune Dress trug, als wäre es Insignie ihres Traumberufes, das Mädchen dazu bewegen, was zu bestellen. Das Mädchen verließ das Restaurant ohne Widerworte und setzte sich an der gegenüberliegenden Wand auf den Boden und aß demonstrativ vor der Leuchtanzeige der Kettenfiliale ihre Brote auf. Ihm hatte das irgendwie gefallen.
© Benjamin Lenz 2023-07-11