von Lea Ramacher
Es ist kalt geworden. Gefühlt erst gestern war ich froh über jeden Windzug, der die Hitze erträglicher gemacht hat. Ich habe das Gefühl, die letzten Monate einfach übersprungen zu haben. Oder vielleicht eher, sie einfach verschwendet zu haben, so könnte man es sicher noch treffender formulieren. Ich wollte den Sommer genießen, mit Freunden ans Meer fahren und den Abschluss feiern. Sinnlos durch die Gegend fahren und all das machen, wofür bald keine Zeit mehr bleibt. Und als hätte jemand mit dem Finger geschnippt ist es auf einmal Herbst, der mir eiskalt ins Gesicht peitscht.
Meine Hoffnungen und Pläne trägt er mit den tobenden Windzügen davon – der Sommer ist nun endgültig vorbei und in mir macht sich ein taubes Gefühl von Leere breit. Ich nippe gedankenverloren an meinem fast schon kalt gewordenen Kräutertee. Er hinterlässt einen seltsam bitteren Nachgeschmack auf meiner Zunge und rinnt mir lauwarm die Kehle hinunter. Ich starre aus dem Fenster, vereinzelt höre ich Kinder im Garten spielen. Bunte Blätter werden voller Freude in die Luft geworfen.
Ich frage mich wirklich, warum man nicht für immer Kind bleiben kann. Unbeschwert, endlos glücklich über die kleinen Dinge des Lebens – In Gedanken sehe ich vor mir ein paar heimliche Löffel des Kakaopulvers vor dem Frühstück, Basteln im Garten und Geheimverstecke aus Zweigen und Decken – und wohl behütet vor Ahnungslosigkeit, wie beschissen das Leben erst noch werden wird. Wie es hinter jeder Mauer auf einen lauert, nur um die nächste Hürde bereit zu halten. Doch dann kommt die niederschlagende Erkenntnis zurück, dass es diese Kindheit wohl nie gegeben hat. Nichts ist, wie es noch vor gefühlt einer Minute gewesen ist. Ich weiß nicht einmal mehr, wer ich war oder geschweige denn jetzt noch bin.
Ich schnappe mir die Decke auf der Bettkante, als von unten Mums Stimme ertönt, dass es Lasagne gibt. Mir ist alles andere als nach etwas zu essen zumute, eigentlich nach rein gar nichts. Ohne es wirklich zu bemerken, fließt die erste heiße Träne über meine rechte Wange und bahnt sich den Weg zu meinem Kinn vor. Ehe es noch mehr werden wische ich sie schnell mit dem Ärmel meines Sweatshirtpullis weg und versuche die herannahende Flut von Gefühlen in mir zu unterdrücken. Es fühlt sich an wie ein unaushaltbarer Druck in meinem Brustkorb, der mich zu zerreißen droht. „Reiß dich jetzt verdammt nochmal zusammen Emmi!“, sage ich mir selbst kaum hörbar. Ich ziehe beide Knie fest zu mir heran und vergrabe mich unter der kratzigen Wolldecke. Mit den Kopfhörern im Ohr verschwimmen die Geräusche aus dem restlichen Haus und den Vorgärten zu einem einheitlichen Rauschen, bis ich die noch geöffnete Playlist weiter abspiele.
And I´ve started to inhale. And exhale. And I´ve been letting go of so, so many heavy things…. Mit geschlossenen Augen lasse ich die letzten Zeilen in mir ausklingen und verinnerliche, was ich vergangene Nacht beschlossen habe. Ist es nicht erstaunlich, wie sich die Pläne von einem Moment auf den anderen so grundlegend ändern können – oder gar in Luft auflösen?
© Lea Ramacher 2025-01-28