von Lisa Strobl
Kurz hängt ein Rauchring in der Luft, durch den Basti den Himmel sehen kann. Wolken durchpflügen das unschuldige Blau, das für ihn stets ein Versprechen nach Freiheit gewesen ist. Warum ketten seine Füße ihn an diese graue Welt? Warum muss sein Leben so ein verdammter Scheißhaufen sein?
Er greift nach der schwarzen Kapuze und schiebt den Stoff tief in die Stirn, um die sich noch immer der Rauch kräuselt. Verzweifelt versucht er die Tränen fortzublinzeln, die den blauen Himmel in ein verschwommenes Meer verwandeln. Und ein Meer hat für ihn nichts mit Freiheit zu tun, nur mit ertrinken. Mit zitternden Lippen zieht er an der Zigarette und schämt sich der Tränen, die ihm jetzt über die Wangen laufen. Aber er hat keine Kraft mehr. Das ist einfach so.
Neben ihm lacht eine junge Frau. Ihr Freund hängt gerade ein Schloss an die Brücke. Sie sehen glücklich aus, so lächerlich glücklich und verliebt. Basti kann nur den Kopf schütteln und daran denken, dass er nicht nach Hause will, weil dort sein Dad sicher schon beim harten Alkohol angekommen ist und wenn er ihm dann den Fünfer in Mathe unter die Nase hält… Traurig schnippt er die Zigarette über das Brückengeländer und schaut ihr beim Fallen zu. 1,2,3… Nur ein paar Sekunden, dann ist der Flug vorbei, dann ist die Zigarette im Fluss ertrunken. Eigentlich klingt das Ganze ziemlich einfach, ein Sprung, ein Moment der Freiheit, einmal fliegen, wie die Möwen über seinem Kopf. Vielleicht, wenn es wirklich schlimm wird, kommt er später wieder, sobald es dunkel ist und vielleicht wird er dann…
„Excuse me? Can I take a picture of you?“, fragt ein Tourist von der Seite.
Schnell dreht Basti sich weg. „Fuck off!“
Normalerweise liebt er es auf der Brücke zu stehen und den Himmel zu betrachten, weil er den Lärm der Menge braucht, um Ruhe zu finden. Neuerdings sieht er statt dem Himmel immer öfter das Meer. Basti läuft vor seinen Gedanken davon, vorbei an einem Kind, dem im Fahrtwind eines Skaters der Teddy aus den Händen fällt. Schnell kniet er nieder, bevor jemand draufsteigt, hebt ihn auf, streicht über das Fell, dann läuft er der Kleinen hinterher.
„Entschuldigung“, ruft er. Die Mutter hört ihn nicht, doch das Kind reißt sich los und stürmt auf ihn zu.
„Balu!“, kreischt sie. Basti geht in die Knie und gibt ihr lächelnd den Bären zurück.
„Danke! Du bist mein Held“, sagt sie mit strahlenden Augen. Basti wischt sich die Haare aus der Stirn und muss über ihre Worte schmunzeln. Es gibt viele Helden auf der Welt, aber er gehört nicht dazu. Er ist nichts weiter als ein Feigling.
Langsam steht er auf, dann geht er davon, weg von dem fröhlichen Kind, das ihm nachwinkt.
„Du bist mein Held.“ Das hat sie wirklich gesagt. Er lächelt, als er die Brücke verlässt, lächelt, als er die Musik des Gitarrenspielers hört, die ihm das Gefühl gibt, dass doch nicht alles Scheiße ist. Trotzdem wirft er ihm ein paar Münzen in die Tasche, nur für den Fall. Warum sollen sie mit ihm im Fluss ertrinken?
© Lisa Strobl 2021-08-15