Der Himmel ist trüb. Regenschwer. Die Vögel zwitschern. Durch das geöffnete Fenster dringt kühle Luft zu mir. In der Ferne der kreischende Lärm einer Kreissäge. Unangenehm und störend. Der Marillenbaum vor dem Fenster ist krank. Dürre Zweige ragen in die Höhe, während der Apfelbaum daneben in seiner vollen Kraft in üppigem Grün sich ausbreitet und vor Lebenskraft strotzt. Der Marillenbaum wird keine Früchte tragen, während der Apfelbaum in verschwenderischer Fülle seine Früchte zur Erde fallen lassen wird. Später. Im Herbst. Zur Erntezeit, wenn der Sommer vorbei sein wird und die Bäume ihre Blätter abwerfen werden im ewigen Kreislauf der Natur. Aber noch ist es Mai. Die Blätter sind erfrischend grün, die Früchte klein und zerbrechlich. Der Prozess des Wachsens und Werdens in vollem Gang.
Um den Marillenbaum mache ich mir Sorgen. Ob ich ihn retten kann? Ich liebe seine süßen aromatischen Früchte sehr. Mehr als die etwas sauren Äpfel daneben, die zu Apfelstrudel verarbeitet werden müssen, um genießbar zu sein.
Auf meinem Grundstück sind viele Bäume. Da gibt es einen mächtigen Nussbaum. Daneben steht ein noch mächtigerer Maulbeerbaum, der seine Äste weit ausbreitet und dem alten Nussbaum die Luft zum Atmen nimmt. Die Äste berühren einander. Es ist keine zärtliche Berührung. Der Maulbeerbaum nimmt sich wild wachsend Raum und wächst in den Nussbaum hinein, nimmt von seinem Lebensraum Besitz, sodass die betroffenen Äste dürr werden.
Der Nussbaum war schon früher da. Ein kleiner Baum war er, als mir dieses Grundstück durch Erbschaft zugefallen ist. Der Maulbeerbaum hat sich von alleine angepflanzt. Eines Tages war er einfach da. Er wuchs schnell, und ich ließ ihn wachsen, ohne zunächst genau zu wissen, welche Baumart sich da ungefragt auf mein Grundstück geschlichen hatte. Bis er eines Tages Früchte trug und ich ihn identifizieren konnte. Trotz mehrfachem Zurechtstutzen ist seine Lebenskraft ungetrübt, während der Nussbaum zwar noch nicht ums Überleben kämpft, aber doch etwas angeschlagen ist von der Übermacht seines Nachbarn.
Zwei kräftige ausladende, in den Himmel wachsende Bäume, die an heißen Sommertagen wohltuenden Schatten spenden und zum meditativen Verweilen einladen. Eine Kraftquelle, ein Platz zum Ausruhen, Lebensraum von Vögeln, die sich von den Maulbeeren ernähren und mich mit ihrem Gesang erfreuen.
Da gibt es auch einen toten Kirschbaum, dessen Stamm, hochgewachsen und lange Zeit stramm in die Höhe ragend, letztes Jahr vom Wind umgestoßen wurde und nun vor sich hin modert, Käfern und Würmern noch Lebensraum bietet, aber hoffnungslos dem Verfall preisgegeben ist und in den Kreislauf der Natur zurückkehrt.
Ich kehre zurück von meinen philosophischen Baum-Betrachtungen in die unmittelbare Gegenwart und widme mich wieder dem Alltag, der Beachtung fordert. Der Himmel ist trüb. Regenschwer. Tränen-schwer.
© Ulrike Puckmayr-Pfeifer 2025-05-15