von Isabella May
Rot. Seine Haare sind knallrot, wie eine dunkle Erdbeere oder vielleicht ein glasierter Bratapfel. Was ist noch alles rot? Auf jeden Fall satt und kräftig, also frisch gefärbt. Auch der Schnitt ist ungewöhnlich – wild und zerzaust – und trotzdem liegen seine Haare in einem beinahe präzisen Mittelscheitel um sein Gesicht. Er erinnert Sophia an diesen einen Musiker. Wie hieß der noch gleich? Yungblud.
Sophia ist neugierig, doch sie dreht sich zurück nach vorne und beobachtet, wie die Professorin in ihrem cremeweißen Hosenanzug mit den grässlichen schwarzen Knöpfen hereinstolziert kommt. Ihre Haare sind dunkel und haben einen altmodischen Bob-Schnitt, also sieht Sophia lieber ihn an. Denn er ist neu.
Sie blickt wieder nach hinten und erhascht gerade noch, wie er die Augenbrauen zusammenzieht. Er schmunzelt merkwürdig und blickt auf den Stift zwischen seinen Fingern, den er dreht. Er wirkt gleichgültig, fast schon kühl, aber trotzdem irgendwie nervös, findet Sophia. „Seine Haare sind komisch“, flüstert jemand. Komisch? Sophia mag sie irgendwie. Sie beobachtet, wie er den Kopf in den Nacken legt und hinauf zur Decke starrt. Er hat offensichtlich längst bemerkt, dass ihn alle – wirklich alle – anstarren. So ist das immer, wenn etwas anders ist. Das geht vorbei.
Zum Ende des Unterrichts beginnt wieder das übliche Getuschel, Gemurmel und Sesselgerücke, doch Sophia macht sich gleich auf und geht zu ihm hinüber. „Du heißt Jascha, richtig?“, fragt sie höflich. Er jedoch blickt nur unbeeindruckt von seinem Tisch hoch und mustert sie skeptisch. Er hat blaue Augen; himmelblau – nein – wasserblau, wie ein klares Flussbett. Seine Haut ist eher hell, beinahe blass und er hat weiche Gesichtszüge, volle Lippen und einen scharfkantigen Kiefer, der wie ein Kontrast zum Rest seines Gesichts wirkt. Er ist irgendwie schön, aber seine Art ist kalt und distanziert. Das ist Sophia nicht gewohnt.
Sie will mehr über ihn wissen, doch was sie auch fragt, er macht es deutlich, dass er kein Interesse daran hat, mit ihr zu reden. Er nickt bloß, oder antwortet kurz angebunden, gibt nicht viel preis. Er versucht sie abzuspeisen, doch Sophia hört in seinen vagen Worten einiges heraus: Seine Stimme klingt leise, kratzig und dumpf, aber kein bisschen zaghaft. Er wirkt nicht schüchtern, nur unruhig. Wenn er aber nicht schüchtern ist, wieso ist er dann so abweisend? Missversteht er ihre Absichten, ihre Neugier? Sie fragt weiter, bemüht sich nett zu sein – so wie immer, so wie zu jedem anderen auch – doch er bleibt frostig wie kalter Marmor.
Sophia hat das Gefühl, dass ihn die viele Aufmerksamkeit überfordert, als wäre es einfach nicht gewohnt, dass sich jemand für ihn interessiert. Sie beschließt fürs Erste zu gehen, doch als sie sich gerade wegdreht, beobachtet sie noch im Augenwinkel, wie er erleichtert ausatmet. Selbst seine gespannten Schultern senken sich und die Finger um den Stift in seiner Hand lockern auf. Sie muss schmunzeln und fasst ihren Entschluss:
Sophia will, dass sie Freunde werden.
© Isabella May 2023-08-01