Beerdigung (Kapitel 1)

Lisa Neuland

von Lisa Neuland

Story

Die Sonne schien durch die bunten Kapellenfenster und erhellte den Raum mit Licht in allen Farben. Im Sonnenlicht stand ein schlichter hölzerner Sarg, geschmückt mit weißen Blumen. Vor dem Sarg war ein Foto umringt von bunten Blumen. Blumengestecke und Notizbücher lagen kunstvoll drapiert vor dem Foto. Überall befanden sich Kerzen. Ein wunderschönes Szenario.

Ich saß in der ersten Reihe neben meinem großen Bruder. Er schaute starr auf seine Hände. Er ließ seine Schultern kraftlos hängen. Ich stupste ihn mit dem Knie an und lächelte zu ihm hoch um ihm etwas Kraft zu geben. Keine Reaktion. Ich stupste ihn etwas kräftiger an. Wieder keine Reaktion. Ich lehnte mich etwas nach vorne und sah Mama neben ihm. Sie hielt Daniels Hand fest, als hätte sie Angst er würde wegrennen. Ihre zweite Hand lag auf Papas Bein. Mama sah verheult aus, hatte eine rote Nase und geschwollene Augen. Papa sah nicht besser aus. Seine Augen waren feuerrot und obwohl er sonst immer braun gebrannt war, war seine Haut jetzt eher grau. Ihre Kleidung stand im totalen Kontrast zu ihren Gesichtern. Papa trug einen schwarzen Anzug, ein blaues Hemd und eine schwarze Krawatte. Mama hatte eine schwarze Jeans, eine schwarze Bluse und einen grünen Cardigan an. Daniel trug eine in verschiedenen Grüntönen gestreifte Krawatte zu seinem schwarzen Anzug und Hemd. Ungewöhnlich für eine Beerdigung, jedoch sehr passend zu den bunten Blumen. Nun sah ich, dass alle Beerdigungsgäste einen Farbtupfer in ihren sonst schwarzen Outfits trugen. Manche trugen bunten Schmuck, viele trugen bunte Schals oder Krawatten. Einige hatten bunte Schuhe gewählt und eine ältere Dame trug echte Blumen im Haar.

„Echt schön, wie sich alle Gedanken zu ihrem farbigen Accessoire gemacht haben, oder?“, flüsterte ich Daniel zu. Wieder keine Reaktion.

„Hallo liebe Trauergemeinde“, begann die Grabrednerin. „Wir sind heute hier um Abschied zu nehmen von Lisa Liemen. Ich möchte besonders ihre Familie begrüßen.“

Was? Ich war doch hier! Ich schaute mich nochmal um. Die Kapelle war gefüllt mit meiner Familie, meinen Freunden aus ganz Deutschland, sogar einige Arbeitskollegen waren gekommen. Jetzt schaute ich mir das erste Mal das Foto vorne richtig an und sah, dass ich lächelnd inmitten der Blumen zu sehen war. Mein Atem wurde schneller. Ich verstand das nicht. Nochmal versuchte ich mit Daniel zu reden. Ich wackelte an seinem Arm und flüstere seinen Namen. Keine Reaktion.

„Ganz schön erschreckend, oder? An seiner eigenen Beerdigung teilzunehmen.“ sagte eine ruhige sanfte Stimme. Der freie Platz neben mir war nun von meiner Tante besetzt.

„Tante Gitte“, sagte ich verdutzt. Sie lächelte mich liebevoll an.

„Ich habe damals meine Beerdigung damit verbracht meine Gäste anzuschreien. Ich dachte, sie müssen mich doch irgendwann beachten, aber das konnten sie nicht“, erklärt sie ruhig mit einem schmunzeln im Ton als würde sie von einer Kindheitserinnerung sprechen.

„Weil wir tot sind“, sagte ich tonlos.

© Lisa Neuland 2022-08-19

Genres
Romane & Erzählungen, Science Fiction & Fantasy
Stimmung
Emotional, Traurig
Hashtags