von Elisabeth Otto
„Jetzt ist es aber genug für heute!“, schnaufe ich und klappe endlich meinen Laptop zu. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich Überstunden gemacht habe. Draußen scheint die Sonne, es ist warm, das Leben pulsiert. Was für ein herrlicher Frühlingstag! Eigentlich möchte ich noch gar nicht nach Hause gehen, also setze ich mich auf eine Bank und atme erst einmal durch. Einige Minuten später setzt sich ein Mann neben mich. „Heute ist es so schön warm“, sagt er, „endlich kommt der Sommer.“ „Zum Glück“, erwidere ich freundlich und wende mich wieder meinem Buch zu. Der Mann hat aber scheinbar noch weiteren Redebedarf. Er erzählt, dass er als Arzt berufsbedingt vorübergehend in der Stadt ist und es sich jedes Mal wie Urlaub anfühlt, wenn er hier sein darf. Schließlich möchte er wissen, ob ich auch von hier bin. Ich bin erst vor ein paar Wochen hierher umgezogen, vorher hatte ich noch nie in einer größeren Stadt gelebt. Nach einer weiteren Viertelstunde Smalltalk nimmt er all seinen Mut zusammen und fragt: „Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen? Sie würden mir damit eine große Freude machen, immerhin kenne ich hier niemanden.“ Ich überlege kurz und bleibe noch ein wenig skeptisch. Man hört ja so viel schlimme Geschichten in letzter Zeit.
Gleich gegenüber ist ein Eiscafé, daneben ein Italiener. Eigentlich recht harmlos, öffentlich und stark frequentiert. „Also gut“, stimme ich zu. Was soll schon schiefgehen? Wir laufen rüber ins Café und die Bedienung bringt die Karte. „Suchen Sie sich bitte was Ordentliches aus. Hungern können Sie für Ihr eigenes Geld“, sagt mein Begleiter. Ich muss schmunzeln. Er empfiehlt einen großen Erdbeer-Eisbecher. Ich liebe Erdbeeren, aber alleine das Foto in der Karte lässt – aufgrund der Portionsgröße – Völlegefühl und Übelkeit erahnen. Deshalb entscheide ich mich für ein Tiramisu, ebenfalls garniert mit frischen Erdbeeren. Offenbar enttäuscht über diese Entscheidung, werde ich von meinem Gegenüber dazu ermuntert, wenigstens noch ein großes Getränk dazu zu bestellen. Also gibt es noch einen Cappuccino mit Nussgarnitur. Das Festmahl wird wenig später an unseren Tisch gebracht und schmeckt hervorragend. Während des Essens unterhalten wir uns über Gott und die Welt. Ich bekomme Familienfotos gezeigt, wir philosophieren über Goethe und Schiller und über unsere letzten Urlaube in Italien. Tatsächlich entdecken wir viele Gemeinsamkeiten und ich muss zugeben, dass ich mich selten mit einem fremden Menschen so ungezwungen und vergnügt unterhalten habe. Zum Nachtisch lassen wir uns zu einem Glas Weißwein hinreißen – für mich jedoch als Schorle. Mittlerweile sind wir zum „Du“ übergegangen und überrascht stelle ich fest, dass es bereits dämmert. Nun wird es aber Zeit für den Aufbruch. Mein Weggefährte reicht mir zum Abschied die Hand und bedankt sich für die Vergoldung des Nachmittags: „Auch, wenn wir uns vermutlich nie wieder sehen – es war mir eine große Freude.“
Beschwingt und fröhlich lief ich nach Hause.
Neulich, als ich durch einen kleinen Geschenkeladen bummelte, sah ich ein Türschild mit der Aufschrift: „Leere Weingläser sind voller Geschichten.“
Damals fand ich das noch kitschig.
© Elisabeth Otto 2025-05-15