Beim wöchentlichen Skype-Date mit meinen Freunden geht es gemütlich zu. Neben den üblichen Gesprächen, was jeder so treibt, wird auch gespielt. Das berüchtigte „Achtung, die Kurve!“ erlebt eine unerwartete Renaissance auf den Rechnern von einigen Endzwanzigern. Das Quatschen mit den Jungs tut gut, alle haben unterschiedliche Geschichten, manche sind noch beruflich unterwegs. Ich jedoch kann mich nach einer gewissen Zeit nicht mehr konzentrieren, ein gieriges Verlangen kocht in mir.
Ich drifte ab und denke an das letzte Mal. Es war ein regelrechter Genuss, sehnsüchtig erwartet. Anfangs dachte ich, in dieser Zeit ist man immer zu Hause und hat dauernd die Möglichkeit, da wird es mehr. Es hat sich nicht bestätigt. Selten fröne ich der innigen Zweisamkeit. Aber heute, heute am frühen Abend, da war es soweit. Wir wussten, wie wir aufeinander abgestimmt sind, kannten die Abläufe. Anfangs hastig nach dir schnappend, später genussvoll.
Ah geh, schon wieder mit meiner Linie eine andere berührt… Meine Auffassungsgabe ist beeinträchtigt, der Kopf an einem anderen Ort. Ich weiß noch, wie es am Anfang mit uns war. Ich hatte schon Erfahrung, aber ich war unsicher, wusste nicht, woran ich bin. Das Vertrauen wuchs ineinander. Damals waren es ungewohnte Ausbrüche, die ich dir zu verdanken hatte. Regelrechte Implosionen, mein jüngeres Ich war dir nicht immer gewachsen.
He Burschen, ich werde euch dann kurz verlassen nachher… Ich spüre wieder dieses Prickeln in mir. Du bist nicht weit weg, wartest gleich im Nebenraum auf mich. Dein Körper, dein Aussehen, ich verliebe mich immer wieder aufs Neue in dich. Wenn ich deinen Hals berühre; ganz zaghaft, ich will dich nicht verletzen. Manchmal aber feste, fast grobe Griffe. Es gibt Grenzen, daran halten wir uns. Doch wenn ich an deine … denke, wie ich sie mit meinen Lippen berühre. Ganz sachte sauge ich dich regelrecht ein. Und dann die Zigarette. Dein Duft, der Rauch, es entsteht etwas Neues. Kein Aroma überdeckt das andere, eine Symbiose der Lüste entwickelt sich. Es geht auch ohne Tabak, aber mit dem blauen Dunst ist das Ende vollkommener.
Wie war das damals in Italien? In einer kleinen Ortschaft, Manarola, es war heiß. Die schattige Seitengasse, sie war kaum einsehbar. Unsere Körper klebten aneinander, ich konnte spüren, wie du meine festen Hände genossen hast. Es war schnell und innig, aber etwas Besonderes. Zügig schnappte ich nach dir, mein Verlangen war unermesslich. Du hast dich mir hingegeben, aber auch du konntest nicht widerstehen. Eine unsagbare Begierde hatte uns erfasst.
So, ich bin kurz weg. Und das „He, was los?“, konnte ich gar nicht mehr hören… Es kribbelte zu stark in mir. Der ganze Körper pulsiert. Schnelle Schritte, fast schon eilig. Ich öffne die Tür, sehe dich vor mir. Ich weiß, wo ich dich anfassen muss. Greife zu, zieh dich heran. Du lässt es geschehen. Es ist der Augenblick, die Sekunden davor. Dann macht es „Plop“ und ich schnepf mir mein zweites Quarantäne-Bier auf.
© Thomas Schützenhöfer 2020-03-31