von Georg Zenz
Zentralborneo. Das Dorf Long Aran liegt zwei Tagesmärsche zurück. Ich bin mit Tmalabang und Boal, zwei Dayaks unterwegs. Die Kopfjagd haben sie hier jedoch schon an den Nagel gehängt.
Tmalabang geht voraus, schleicht wie eine Katze durch den Urwald, der hier so dicht ist wie steirischer Walkjanker. Blasrohr und Buschmesser stets griffbereit. Sie misstrauen den Punan, einem Stamm der heute noch nomadisierend in Kleingruppen durch den Urwald zieht. Punans sind in ihren Augen „Wilde“ denen man nicht trauen sollte.
Wir sind unterwegs nach Long Lame, einem Dorf mit sesshaft gewordenen Punans. Die beiden treiben Handel mit ihnen. Liefern Salz und Messerklingen und bringen wertvolles Sandelholz zurück. Nach Long Aran kommt wiederum alle 2-3 Monate ein Händler den Bahau herauf welcher Salz und andere Waren liefert und das Sandelholz mit an die Küste nach Tarakan nimmt.
Auf einer Sandbank eines kleinen Urwaldflusses finden wir den abgetrennten Kopf einer riesigen Boa.
„Punan“ flüstert Boal und hebt dabei das Blasrohr etwas an.
Das Sumpit, das Blasrohr, ist 2 Meter lang und vorne mit einer seitlich angebundenen Metallspitze versehen. Es ist aus dem harten Holz des Kaju Belusu und wird in mühevoller Handarbeit ausgebohrt. Die Pfeile, die Anak-Sumpit, die „Kinder des Blasrohres“ sind aus 20 cm langen Blattrispen hergestellt und haben hinten einen Balsaholzpfropfen, der dem Durchmesser der Rohrbohrung entspricht.
Wie einen Schatz hütet jeder Dayak sein Pfeilgift. Die Rinde des Salobaumes wird zu Holzkohle verarbeitet, zu Pulver gestampft und dieses mit einem Speichel-Kautabak Gemisch vermengt. Fertig ist der Giftcocktail.
Die Dayak treffen auf 50 Meter einen kleinen Vogel, jagen aber auch riesige Wildschweine mit ihren Giftpfeilen. Lautlos.
Seit mehr als 2 Wochen begleite ich die beiden auf ihren Jagdstreifzügen durch den Dschungel, fahre mit auf dem Bahau zum Fischfang und folge ihnen jetzt auf ihrem Gang nach Long Lame.
Ich sehe mittlerweile aus wie nach einer Folterung. Dornen haben Arme und Beine aufgerissen, Blutegel haben sich schmerzhaft an meinen Füssen festgesaugt und tiefe entzündete Blasen hinterlassen. Moskitostiche haben eine rote, juckende Kraterlandschaft auf meiner Haut gebildet. Um das Ganze abzurunden, kommen noch blaue Flecken von Stürzen über steile rutschige Abhänge hinzu.
Aber die Abende im zentralen Langhaus sind dafür Entschädigung pur. Männer, Frauen und Kinder sitzen im Kreis, die Gesichter nur durch das flackernde Licht von einigen Öllampen erhellt. Einer nach dem anderen erzählt eine Geschichte oder einfach nur das an diesem Tag Erlebte. Alle hören gespannt zu.
Kuweng sitzt direkt vor dem Öllicht, das eine flackernde Licht-Schattengrenze auf sein Gesicht malt. Seine mit Holzstäben durchbohrten Ohrläppchen kommen dabei besonders zur Geltung. Es ist ein archaisches Bild, das ich diese Nacht mit in den Schlaf nehme. Ein Schlaf den auch der Lärm des Regens nicht stören kann.
© Georg Zenz 2020-04-11