Bei uns aufm Dorf …

Waldläufer

von Waldläufer

Story

Bei uns aufm Dorf sind die Straßen so schlecht, dass jede Geschwindigkeitsbeschränkung überflüssig wäre.

Bei uns aufm Dorf fährt der Bus zweimal morgens, zweimal mittags, nur an Schultagen, nur für Schüler.

Bei uns aufm Dorf gibt es keine Bäckerei und auch keine Postfiliale, nur zwanzig Häuser, mitten im Wald.

Bei uns aufm Dorf kommt der Wasserdruck vom Wasserturm und das Wasser aus einer Quelle nahe der Schlucht.

Bei uns aufm Dorf gibt es keine Kirche. Eine Glocke ruft die Frommen mittags und abends zum Gebet.

Bei uns aufm Dorf wäscht eine Hand die andere. Gehandelt wird in Naturalien und Gefälligkeiten.

Bei uns aufm Dorf erwirbt man Bauplätze nur als Erbschaft. Die Großeltern meines Opas haben schon hier gewohnt.

Bei uns aufm Dorf ist man Montague oder Capulet, weitere Sippschaften gibt es nicht.

Bei uns aufm Dorf gibt es mehr Vierbeiner als Zweibeiner, mehr Weidefläche als Wohngebiet.

Bei uns aufm Dorf schreit um vier Uhr der Hahn, um fünf Uhr der Esel.

Bei uns aufm Dorf leuchten die Laternen bis 22 Uhr, dann nur noch die Sterne.

Bei uns aufm Dorf gibt’s Querdenker und Studierte, Geflüchtete und Homosexuelle. Gibt’s Schwarze, gibt’s Weiße, gibt’s Juden, gibt’s Christen.

Bei uns aufm Dorf, da sitzen sie einmal im Monat um ein warmes Lagerfeuer und feiern. Die Gemeinschaft, das Leben, den Geruch des Waldes, die Weite der Felder, den Glanz der Sterne. Reißen derbe Witze und lachen in die Dunkelheit.

Bei uns aufm Dorf, im Himmel auf Erden.

© Waldläufer 2022-12-07

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