Bella Ciao

So_Yellow_

von So_Yellow_

Story

Sonntag. Muttertag. Meiner Tochter findet doch noch heraus, dass er heute ist. Internet und Co.

Gerade, als ich gedankenverloren über die Rettung von Annas Grab sinniere, ertönt Musik und ein „Alles Gute zum Muttertag!“

Meine Tochter ist Halbitalienerin und sie hat extra dieses Lied gewählt. Laut singt sie mit und ich stimme schief mit ein. Wir lachen und unsere Stimmen sind trotzdem ernst dabei:

«È questo il fiore del partigiano»

O bella, ciao! Bella, ciao! Bella, ciao, ciao, ciao!

«È questo il fiore del partigiano,

morto per la libertà!»

Kampfeslust steigt in mir auf. Und Liebe. Das beste Geschenk aller Zeiten. Wir singen das Lied bestimmt elf Mal so laut, dass es durch und durch geht und die Musik erfüllt den Raum und mein Herz. Ich weiß jetzt, was zu tun ist!

Montag:

Mit IPod und Kopfhörern bewaffnet stapfe ich über den Friedhof. In meiner Hand sind: Ein selbstgebastelten Schild und ein Bild meiner Uroma. Das Schild ist für den Rasenmähermann. Das Foto soll zeigen, dass es mir ernst ist. Dass das hier kein x-beliebiges Grab ist, sondern *eventuell* die Frau auf dem Foto dort begraben liegt. Und dass diese Frau es gar nicht gerne sieht, wenn der Hanf weggesichelt wird. Gab es zu der Zeit von Anna schon Fotoapparate? Keine Ahnung.

Das Widerstandslied ist laut in meinem Kopf. Ich singe leise mit. „Bella ciao, ciao, ciao! Tutte le genti che passeranno. Mi diranno «Che bel fior!».

Ramme das „Mähen verboten!“-Schild in den Boden und stelle das Bild von Uroma Olga auf den Sims des Grabsteines. Sie sieht mich ernst an, ich sehe noch ernster zurück. Ich wollte erst ein riesiges Transparent malen. Und Fackeln um das Grab in den Boden stecken. Aber die leise Nummer scheint mir passender. In meinem Kopf hingegen ist es laut. Widerstandsmusik. Das Partisanenlied. Ursprünglich war es ein Lied der ausgebeuteten Arbeiterinnen auf den Reisfeldern („Aber es kommt der Tag, an dem wir alle in Freiheit arbeiten werden“). Ich werde auch ausgebeutet: vom Job. Und ich will nicht auch in meiner Freizeit ausgebeutet werden: von fiesen Grab-Beet-Rasenmähern, die nebenbei Schatzkarten entwenden. Die Zeit der schönen Fantasie ist gerade vorbei. Anna seufzt tief unten. Uroma Olga schaut mich kampfeslustig vom Foto aus an. Ich atme tief ein. Warten ist nun angesagt und ich stelle mich hier und jetzt der Wirklichkeit: dem Sensen- aka Rasenmähermann live und in Farbe. Falls er denn auftaucht. Wenn er kommt, werde ich die Kopfhörer abreißen und das Lied beschallt das ganze Viertel. Ich werde ihn ansehen, das Eichhörnchen wird ihn ansehen, Kater Lenny wird ihn ansehen und dann singen wir:

„Eines Morgens erwachte ich. O Schöne, Ciao, Schöne, Ciao, Schöne, Ciao, Ciao, Ciao! Eines Morgens erwachte ich – und fand den Eindringling vor.“

© So_Yellow_ 2020-05-11