Bergmeditation im Sitzen

Sabrina Farkas

von Sabrina Farkas

Story

Stelle dir einen Berg vor, dessen Form dir gefällt. Achte auf seine Silhouette, seinen aufragenden Gipfel, seine Verwurzelung mit der Erde. Vielleicht ist seine Spitze mit Schnee bedeckt? Gibt es Wald auf seinen Hängen? Hat er einen Gipfel, mehrere kleinere oder ein hohes Plateau? Achte darauf, wie massiv der Berg ist, wie unbewegt, wie wundervoll. Bewundere seine Schönheit, die aus seiner einzigartigen Gestalt entsteht und den Berg verkörpert. Atme mit dem Bild deines Berges. Beobachte ihn und werde dir seiner Eigenschaften bewusst.

Versetze jetzt diesen Berg in deinen Körper, sodass du und der Berg eins werdet. Dein Kopf wird zu dem hoch aufragenden Gipfel. Deine Schultern und Arme werden zu den Flanken des Berges. Dein Gesäß und deine Beine werden zu der soliden Basis des Berges, die mit der Erde verwurzelt ist.

Erlebe in deinem Körper das Emporstreben des Berges durch deine Wirbelsäule und gleichzeitig die tiefe Verwurzelung zur Erde. Werde zu einem atmenden Berg. Unerschütterlich in deiner Stille ruhend, ganz und gar das, was du jenseits von Worten und Gedanken bist – eine zentrierte, verwurzelte, unerschütterliche Präsenz. Der Berg ist den ganzen Tag einfach nur da, während die Sonne über den Himmel wandert. Das Wetter, die Jahreszeiten gehen ineinander über, Tag für Tag. Der Berg bleibt in der Stille – alle Veränderungen überdauernd.

Im Frühling blühen die Bergwiesen und in den Bergbächen fließen gewaltige Massen von Schmelzwasser ins Tal. Im Sommer überflutet ihn Wärme, manchmal auch unerträgliche Hitze – der Berg bleibt da. Im Herbst trägt er einen Mantel leuchtender Farben oder aus grauem Nebel, im Winter eine Decke aus Schnee und Eis.

Wanderer sind vielleicht enttäuscht, wenn sie ihn nicht klar sehen können. Doch dem Berg ist es nicht wichtig, ob er zu sehen ist oder nicht, ob er glühend heiß oder eiskalt ist – er ist einfach nur da und sich selbst genug. Der Berg ist da, ohne sich vom Wetter und von dem, was geschieht, beeindrucken zu lassen. Manchmal kommen heftige Stürme, doch der Berg ist unerschütterlich da.

Wie der Berg erlebst auch du ständige Veränderungen, Zeiten des Lichts und der Dunkelheit. Einmal erscheint alles in lebhaften Farben, dann ist alles grau. Einmal brausen Stürme unterschiedlicher Intensität – in deiner äußeren Welt ebenso wie in deinem Geist – und dann kehrt wieder Ruhe ein. Selbst deine äußere Erscheinung verändert sich ständig, so wie die des Berges, der stets dem Wetter und der Verwitterung ausgesetzt ist.

Nutze die Kraft, die Einfachheit, die Stille, die Präsenz und die Unerschütterlichkeit des Bergs, um innere Stabilität und Gelassenheit zu kultivieren, wenn es im Leben stürmisch wird. Die Zeiten der Freude und der Leichtigkeit stehst du genauso durch wie Zeiten des Schmerzes. Bei jedem Wetter, bei jedem Ereignis sitze gerade und hoch aufgerichtet wie ein Berg – mit allem, was ist.

Text abgewandelt nach Jon Kabat-Zinn

© Sabrina Farkas 2022-07-29

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