von Stefan Wichmann
Im Folgenden schreibe ich aus dem Gedächtnis ein Gespräch nieder, dass ich als Jugendlicher 1979 hatte.
Es war ein warmer Sommertag, an dem ich als 15 jähriger einem Christen aus unser Gemeinde half, eine Regenrinne an die bereits im Boden eingelassene Abwasseranlage anzuschließen. Die Weiterleitung an die Drainage war bereits fertig, sodass ein Ende der umfangreichen Arbeiten abzusehen war. Der ‚Glaubensbruder‘ zeigte mir, dass die Gummidichtungen einzufetten sind, um die Rohre leichter ineinanderstecken zu können. Trotzdem war es eine insgesamt schweißtreibende Arbeit. Die Sonne brannte auf unsere nackten Oberkörper herab, der Wasservorrat neigte sich dem Ende und wir machten kurzerhand eine Pause. Er holte sein Esspaket hervor, bot mir eine Schnitte an und schaut zu mir herüber, während ich mich auf den sandigen Boden niederließ.
„Weißt du“, begann er plötzlich. „Du machst dich ganz gut.“
Ich wusste nicht so recht, was ich antworten sollte und nickte lediglich. Wir schwiegen einen Moment. Mir machte die Stille nichts aus, doch er lenkte unser Gespräch langsam auf den letzten Gottesdienst, auf Gott und auf den ganzen Themenkomplex Glauben. Ein Thema, über das ich noch nie so recht reden wollte.
„Ich möchte dir was berichten“, gestand er mir plötzlich. Er musterte mich und bewertete wohl meine Reaktion, während er weitersprach: „Ich bin schon einmal zusammengebrochen. Der Rettungswagen brachte mich ins Krankenhaus und die Ärzte kämpften um mein Leben.“ Immer noch ruhte sein Blick auf mir. Regungslos hörte ich zu. Es interessierte mich, ich wollte hören, was ihm widerfahren war, aber ich schaute ihn nur an.
„Ich weiß noch, wie ich von oben auf meinen Körper herunterschaute“, fuhr er fort. „Die Ärzte kämpften um mein Leben.“ Ich schwieg weiter und hielt seinem Blick stand. „Ja, und ich war ganz ruhig“, berichtete er weiter. „Innerlich ganz ruhig! Ich erinnere mich auch noch an einen Raum. Er war voller Farben! Es waren so schöne, satte, warme Farben rings um mich herum.“ Seine Stimme verlor sich in der Erinnerung. Sie wurde leiser, ja fast schon wehmütig, während er langsam seinen Blick senkte. „Es war so schön.“ Jetzt schaute er wieder auf: „Es war so ein toller Raum, mit so tollen Farben! Ich habe seitdem keine Angst mehr vor dem Sterben. Ich wollte ja gar nicht mehr zurück!“ Die melancholische Stimmlage wechselte in einen kraftvollen Ausruf: „Ich war eher sauer, dass sie mich zurückgeholt hatten! Ich wollte nicht mehr zurück ins Leben, ich wollte zurück in den Raum!“ Ich schwieg. „Komm lass und weiterarbeiten!“
Viele Jahre später hörte ich, dass er gestorben war. Er war auf dem Nachhauseweg von einer Reise gewesen und hatte es gerade noch so geschafft das Auto vor seiner Mietwohnung zu parken. Ich aber wusste, er hatte es geschafft. Er war an seinem Ziel angekommen und konnte mich für ihn freuen.
© Stefan Wichmann 2023-11-26