Berlin

Aline Ackermann

von Aline Ackermann

Story
Berlin

Ich spüre die Kälte und jeden einzelnen Tropfen des kalten Regens auf meiner Haut. Jeder dieser Tropfen sickert durch mein T-Shirt, dass eng an meinem Körper klebt. Ich höre den Regen auf die Straße klatschen und im Sekundentakt laufen Menschenmassen an mir vorüber. Ich beachte sie nicht, ich höre nur das bekannte, ratternde Geräusch der S-Bahn. Mein Kopf ist zum Himmel gerichtet und ich öffne langsam meine Augen. Es ist schwer zu erkennen, ob es der Regen oder ob es meine Tränen sind, die mein Gesicht nass machen. Der Regen schwemmt all die schweren Gedanken weg, schwemmt sie auf die Straße unter meinen Füßen, wo sie langsam verlaufen, lilienartig hinein in meine Muddastadt. Bis gerade hatte ich noch das Gefühl ersticken zu müssen und nun überkommt mich das Gefühl einer quälenden, verzweifelnden Traurigkeit. Ein Gefühl das mir so gut bekannt ist. Mein Körper nimmt die eisige Kälte wahr und das Adrenalin in meinen Adern schwimmt langsam davon. Ich spüre den Rhythmus meiner Muskeln, die im Takt zu tanzen scheinen. Ich spüre, wie eine warme Hand meine Rechte ergreift und sie ganz fest hält. Der feste Druckt gibt mir den Halt zurück, den ich jetzt brauche. Ich wende meinen Kopf nach rechts und schaue in ein bekanntes und so vertrautes Gesicht. Es ist meine Freundin Gio. Sie sagt nichts, hält nur meine Hand noch fester. Ich schaue sie lange an bevor ich meinen Kopf wieder in Richtung Himmel wende. Ich schließe die Augen wieder und spüre, dass der Regen noch stärker wird. Gio sagt noch immer nichts, sie hält nur meine Hand und streichelt mit ihrem Daumen über meinen Handrücken. Diese Berührung hat eine beruhigende Wirkung auf mich. In dem Augenblick als eine weiter, dicke Träne mein Auge verlässt, spüre ich eine zweite vertraute und warme Hand, die nun meine Linke hält. Ich öffne meine Augen und wende meinen Kopf nach links. Dieses ausdruckstarke, aber warme Gesicht, das ich sehe, gehört meiner Freundin Christin. Sie schaut mir tief in die Augen und ich kann ihre Gedanken lesen. Stille tritt ein, ich höre nichts mehr, keinen Regen, keine Menschmassen die pünktlich und gestresst zur Arbeit müssen, keine S-Bahn. Dann unterbricht Gio die Stille und sagt zu Christin und mir: „Wir haben uns geschworen: FÜR IMMER.“ Wir wenden uns alle drei dem Himmel zu. Es hängen schwere, schwarze Wolken über uns und unserer geliebten Muddastadt Berlin, die langsam im Regen zu ertrinken droht – oder bin ich es die ertrinkt?


© Aline Ackermann 2023-09-17

Genres
Romane & Erzählungen, Biografien
Stimmung
Dunkel, Hoffnungsvoll, Inspirierend, Reflektierend, Traurig