Berlin ist anders

Eva Surma

von Eva Surma

Story

Das Udo-Lindenberg Musical ist mir endlich Anlass genug, meine Freunde in Berlin zu besuchen. So lange nehme ich es mir schon vor. Alle schwärmen von der Stadt. Ich möchte meinen Horizont erweitern, also ab ins Theater am Potsdamer Platz!

„Aber Lindenberg ist doch Hamburger!“ Macht nichts! Sein Musical spielt in Berlin zum Mauerfall, und ich möchte ihn endlich einmal live sehen. Dass er nicht selbst singt, ist zwar eine herbe Enttäuschung, tut dem Musikgenuss und der Stimmung jedoch keinerlei Abbruch.

Wir essen beim Inder, der ist Türke. Das macht doch nichts! Das wichtigste an Berlin ist die Berliner Luft. Ich atme tief ein. Es riecht nach Großstadt. Meine Freunde lachen. Nein. Die Berliner Luft nehmen wir bei uns zu Hause. Warum? Na, das ist doch ein Pfefferminz. Was? Ein Tee? Nein! Ein Likör!

Meine Freunde sind eigentlich auch keine Berliner, sondern sie sind allesamt zugezogen. Aus Frankfurt an der Oder, aus Köln und aus Königswusterhausen. Ich verstehe immer nur Bahnhof.

Am nächsten Tag besuchen wir den Checkpoint Charly und den Französischen Dom am Gendarmenmarkt. Dort ist auch ein Ampelmann Geschäft. Ampelmann und Ampelfrau, die sind doch wenigstens echte Berliner. Bei einem urigen Restaurant ums Eck essen wir das Tagesmenü: Schnitzel mit Kartoffelsalat. Ist das nicht eher was Wienerisches?

„Nein. Sogar Kennedy hat gesagt: Ich bin ein Berliner. Da wirst du doch beim Essen ein Auge zudrücken können.“ Danach gehen wir in die Friedrichstraße, wo sich alle Labels der Welt verkaufen. Der Dussmann ist ganz nach meinem Geschmack. Bücher ohne Ende! Dort kann ich einen braunen Flauschriesen streicheln. Ach, das ist der Berliner Bär! Der mit der berühmten Berliner Schnauze. Davon hab ich gehört. Nein. Das ist Grüffelo, den kennst du doch wohl. Und der ist auch kein echter Berliner. Die Berliner Schnauze kann man übrigens nicht streicheln.

Mich wundert gar nichts mehr. Am Buffet nehmen wir noch eine Currywurst und Wein, einen Sauvignon Blanc aus der Südsteiermark. Auf dem Heimweg heißen mich meine Freunde auf den Boden achten, denn dort sieht man die Mauer oder das, was von ihr übriggeblieben ist. So dünn war die?

Am nächsten Tag fahren wir mit dem Bus zum Flughafen. Wir finden keine Sitzplätze mehr. „Hey!“ schallt da die Stimme der Busfahrerin aus dem Lautsprecher. „Sie da hinten! Nehmen Sie doch mal ihren Fettranzen aus meiner Lichtschranke!“

Ich sehe mich um. Was ist los? „Du bist gemeint“, lacht mein Freund. „Du sollst einen Schritt zurückgehen, sonst kann sie die Tür nicht schließen.“ Ich kann es nicht glauben. „Ja! Da kieckste, wat! Das ist die berühmte Berliner Schnauze. Hast Glück gehabt! Fast wärste nach Hause gefahren, ohne den originalen Berliner Charme kennengelernt zu haben.“

© Eva Surma 2022-01-28

Hashtags