von Valerie Vonroe
Ich habe ein Berlinpraktikum in der Szene! Ich begann gleich an diesem Abend mich hineinzufühlen. Ich rief meinen schwulen Freund an, den hatte ich ehrlich schon lange vernachlässigt. Normale Männer reagieren oft so abartig auf Schwule – so wie wenn sie eine ansteckende Krankheit hätten. Meine persönliche Antwort darauf, dass jeder Mann insgeheim mal diese Perspektive probieren möchte, seinen weiblichen Anteil ausleben. Ich kenne genug Männer die ganz normal verheiratet waren, Kinder, Haus – das ganze Programm und dann auf die andere Seite gewechselt sind und sehr glücklich waren oder noch immer sind. Genau wie bei den anständigen Frauen – pfui Nutten – sagen sie offiziell. Aber interessant wäre es schon mal, natürlich nur die Variante von der Edelnutte.
Salvadore freute sich riesig, auch so eine Eigenschaft von Schwulen – sie sind nicht nachtragend – also ich meine Frauen gegenüber. Die stellen keine Konkurrenz dar und erschüttern das Mega-Selbstvertrauen in keinster Weise.
Heute lief eine super Party in einem Undergroundclub, besser konnte ich es gar nicht treffen. Der Dresscode war „Opulenz in Rot“. Bis dann, Darling.
Meine Kleiderauswahl in Rot war nicht sehr üppig, da hatte ich ein Kindheitstrauma. Meine konservative Mama ließ nur „reine“ Farben zu – Rot, Weiß und Dunkelblau. Das werde ich in diesem Leben nicht mehr aufarbeiten, ist aber auch egal.
Meine Entscheidung fiel auf ein üppiges Tüllkleid, wann immer ich es getragen hatte, die Banausen sagten immer – bist du aus Papageno entsprungen – aber heute war es mehr als passend. Dazu goldfärbige Cowboystiefel in Kombination mit meiner „Klorollenfrisur“. Die war supereasy und machte einfach eine WoW-Mähne. Das Rezept dazu: Man nehme eine leere Klopapierrolle, wickle einen Kunsthaarzopf darüber, dann auf den höchsten Punkt des Kopfes aufstecken, eigene Haare darüber – und fertig ist der Turm.
Als ich in den Club ein- bzw. untertauchte konnte ich mich vor Umarmungen kaum retten. Jeder wollte auf unser Wiedersehen anstoßen. In kürzester Zeit hatte ich einen wilden Mix aus Shot´s in allen Farben mit neutralisierendem Wodka intus. Es war so befreiend, hier war Alles erlaubt. Friedlich vereint waren hier Schwule, Heteros, Dealer, Nutten samt ihrer Peitscherlbuam – also total liebenswerte Menschen. Ich war voll auf Betriebstemperatur angekommen.
Meine Erzählung über die Berlin-Connection begeisterte sie total, ja riss sie gerad zu Begeisterungsstürmen hin. Jeder hatte einen Tipp für mich… und nachher musste ich unbedingt Alles klitzeklein bis ins kleinste Detail erzählen. Oh, yes Honey!
Stunden später musste ich mich übergeben, ein Blick in den Spiegel zeigte mir den schiefen Turm von Pisa und Augen in der Farbe meines Kleides. Wie eine Ertrinkende hantelte ich mich Zentimeter für Zentimeter am Stufengeländer hinauf, dann küsste mich die strahlende Sonne.
Die nächsten zwei Tage ließ ich es eher ruhig angehen.
© Valerie Vonroe 2020-09-27