von Berta-Dickens
Bernhard war eine kleine Ameise. Bernhard tummelte sich oft abseits der Ameisenbehausung. Der Tag verlor langsam sein Licht. Die Sonne stand bereits sehr tief, das orangefarbene Licht fiel weich durch das dichte Gras. Die Halme bewegten sich sanft im Wind. Für Bernhard schien es so, als würden die Halme einen Abendgruß zu ihm schicken. Bernhard hatte Sehnsucht nach Freunden. Er war oft alleine. Und auch so sehr er bei den Arbeitsameisen mithalf, er bekam nie ein Dank zu hören. Er war deswegen oft traurig. Seine Brüder und Schwestern waren alle viel älter und hatten auch bereits ihre eigenen Familien. Deshalb beschlich Bernhard das Gefühl ein Außenseiter zu sein. Dabei war er doch so stark. Dieser Widerspruch ließ ihn traurig sein. Heimlich suchte er sich dann immer einen stillen Platz, abseits der Ameisenstraßen. Dort kauerte er nieder und schluchzte laut, bis ihn seine Tränen sagten, es wird alles gut werden. Bernhard erschrak dann oft über sich und seine Gefühle.
Heute war wieder so ein Tag. Er hatte ein riesiges Stück eines Apfelstrudels durch das hohe Gras getragen. Er musste öfters absetzen und eine Pause machen, weil er einfach keine Puste mehr hatte. Im Ameisenbau bei der Nahrungssammelstelle wurde er von der neuen Vorarbeiterin Nette lautstark zurechtgewiesen. Dabei war Nette gar nicht nett. Seine Kraftanstrengung wurde einfach ignoriert, seine Schweißperlen sah auch niemand.
Deshalb war er nun auf dem Weg zu seinem geheimen Platz. Eigentlich hatte Bernhard heute keine Kraft mehr zu laufen. Aber seine kleinen Füßchen trugen ihn immer weiter, Schritt für Schritt. Immer dem warmen Licht entgegen, wobei ihm die Grashalme den Weg zeigten. Zwischen den Halmen hindurch summten Insekten ganz leise im Chor vor sich hin, und aus der Ferne klang das leise Rauschen eines nahegelegenen Baches – dort war Bernhard noch nie gewesen. Heute war aber nicht der Tag für Abenteuer. Bernhard hatte seinen geheimen Ruheplatz auf einer kleinen Anhöhe erreicht. Von hier hatte er die Übersicht über das Feld und die Siedlung, welche am Waldesrand, nahe seiner Ameisenbehausung lag.
Die Vögel sangen völlig durcheinander ihr Abendlied in den hohen Ästen. Bernhard spürte durch diese Stimmung einen inneren Frieden. Nicht aufdringlich. Nur da. Er kletterte noch ein paar Steine hinauf, tastete sich an einer Wurzel entlang und sah plötzlich ein kleinen, freien Flecken, wo das Licht auf ein weiches Blatt fiel. Bernhard setzte sich. Zum ersten Mal an diesem Tag tat er – nichts. Der Himmel begann immer stärker über das langsam golden, dann rosarote Abendrot zu leuchten. Der Himmel fing an mit seiner dunkelblauen Farbe die eintretende Stille zu verstärken. Und Bernhard die Ameise saß einfach da. Ganz still. Und spürte die Wärme der untergehenden Sonne auf seiner Brust. Langsam setzte ein Hauch von Wind ein, der sanft mit seinen Fühlern spielte, als wollte er sagen, bleib noch eine Weile hier.
Er wusste nicht, ob er morgen einen anderen Platz erkunden sollte. Aber das war jetzt nicht wichtig. Denn in diesem Moment war alles gut. Bernhard schloss langsam die Augen und ließ sich vom letzten Licht des Tages in dieser wuchtigen Stille wie auf einer Sänfte tragen.
© Berta-Dickens 2025-04-09