Besenrein

Evelyn Weyhe

von Evelyn Weyhe

Story
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Automatisch greife ich nach ihm, will ihn fühlen, will mit ihm durch die Wohnung tanzen, und dabei laut singen. Wir sind ein glückliches Paar. Obwohl ich zugeben muss, dass ich ihm nicht immer freundlich gesonnen bin. Das kommt auf meine Stimmung an. Manchmal reiße ich ihn auch an mich, ohne ihm zuerst vorsichtig und sanft durch die Barthaare gefahren zu sein. Dann bin ich wirklich schlecht gelaunt. Er ist jedoch nachsichtig mit mir, er lässt mich gewähren, verhält sich ruhig und geduldig, bis sich meine Laune gebessert hat. Dann tut er mir wieder leid und ich hole ihn wieder zu mir. Sanft streichele ich seine kühle Haut und zupfe vorsichtig und liebevoll die Flusen aus seinem Bart. Mein Besen, mein Freund! Was würde ich ohne dich tun? Du bist mein Seelentröster, wenn ich traurige Momente habe, du bist meine Muse, wenn ich eine Denk- oder Schreibblockade habe. Während ich gründlich die Ecken fege, peinlich darauf bedacht jeden Krümel zu erwischen, kommen mir die tollsten Ideen. Wie heute zum Beispiel. Sollte ich mal über meinen Besen schreiben?, denke ich, während er brav meiner Führung folgend, den Boden säubert. Ich könnte ihn personifizieren und ihm einen Namen geben, sinniere ich weiter. Warum nicht Broomy oder Saubermann, oder Escoba aus dem spanischen, Escobilla klingt dann aber liebevoller. So wandern meine Gedanken in die Ferne. Ich frage mich, was es mit dem Besen und mir auf sich hat. Speziell diesen, von einer Freundin geschenkten Friseurbesen, liebe ich heiß und innig. Leider kann ich diesem Modell nicht zärtlich durch den Bart fahren, sondern nur über die Plastiknoppen, aber egal. Pedantisch erwischt er auch das winzigste Katzen- und Hundehaar, der Gute, und schiebt es gekonnt auf die Schaufel. Ein wahrer Meister seiner Gattung. Passend zu seinem roten Stil habe ich eine rote Kehrschaufel besorgt. Ich dachte, das würde ihm gefallen. Das Paar steht jetzt einsatzbereit in der Küche, jederzeit griffbereit seine Pflichten zu erfüllen. Während ich so entspannt vor mich hin fege, frage ich mich, was es mit meinem Ordnungs- und Sauberkeitsdrang auf sich hat. Den Tag beginne ich schon mal damit, Schlafzimmer und Bad zu säubern. Das macht mich bereit den Anforderungen des Tages zu begegnen. Dabei versuche ich nicht zwanghaft vorzugehen, also Routine zu vermeiden. Also einmal das Bad zuerst, dann das Schlafzimmer, oder auch mal einen Kaffee zuerst, oder eine Runde durch den Garten. Aber letztlich gilt für mich: innere Ruhe durch äußere Ordnung. Dann kann ich mich entspannt und zufrieden an den Schreibtisch setzen. So wie jetzt. Vielleicht war ich ja in einem früheren Leben ein Zen Mönch. Im Zen-Buddhismus sagt man, dass jeder, der zum Putzen und Aufräumen bereit ist, das Glück der Veränderung erfahren wird. Ich mag Veränderungen und bin schon gespannt, was da noch auf mich zukommt in diesem Leben. Ich schwinge rhythmisch den Besen und werde ganz ruhig. Was stören mich meine Probleme, meine Sorgen und Ängste, ich bin befreit, summe ein Liedchen vor mich hin und erfreue mich an dem strahlenden Himmel und der Sonne. In der Ferne glitzert das Meer, die Stille wird nur durch das Surren der Zikaden unterbrochen. Dieses Geräusch kann man sogar als Einschlafhilfe herunterladen. An diesem Punkt sind meinen Gedanken angelangt. Ich stelle mein geliebtes Paar an seinen Platz und sinke gerade noch auf den Liegestuhl nieder, bevor ich ins Traumland hinüberwechsele. Ach ja, bevor ich einschlafe: Feger soll er heißen, mein halbstarker Freund!

© Evelyn Weyhe 2024-06-30

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Komisch, Unbeschwert
Hashtags