von Anita Gürth
Weich fühlt es sich an. Der feine Faden ist bunt eingefärbt. Die Hauptfarbe ist blau. Hundert Gramm davon benötige ich für mein Projekt. Und ein Nadelspiel, das sind fünf Sockenstricknadeln. Beim Verarbeiten der Vierfach-Wolle entsteht automatisch ein Muster. Gestrickt wird händisch in Runden. Ich beginne mit zwei glatt, zwei verkehrt.
Lange Zeit war ich als Pendlerin von meiner Heimatstadt zu meiner Arbeitsstelle in der Bundeshauptstadt unterwegs. Die einstündige Bahnfahrt konnte ich gut für mich nutzen. Zum Lesen, Träumen, Beobachten … oder Stricken. Sockenstricken. Bei den erstandenen Wollpaketen war eine ausführliche Anleitung für verschiedene Größen inkludiert. Mir bislang unbekannte Begriffe fand ich hier verständlich beschrieben. Die Geheimnisse um Bund, Fersenwand, Käppchen, Verbindung von Ferse und Spann, Zwickel oder Bandspitze wurden für mich gelüftet.
Anfang November fiel der Startschuss. Der Prototyp war für die am nächsten vorgefundenen, kalten Füßchen bestimmt. Für meine eigenen. Grüne Wolle im Militarymuster. Das Erstlingspaar war gelungen, lediglich der Farbverlauf der Einzelstücke war nicht gleichmäßig. Lag möglicherweise daran, dass ein Knäuel von außen und das andere von innen verarbeitet wurde.
Dann ging es weiter mit je einem Paar für meine erwachsenen Kinder und für meinen Liebsten. Bis zum Fest des Schenkens war alles fertiggestellt. Das Stricken war wie eine Sucht, für die die tägliche Zugfahrt manchmal zu kurz wurde. Anfangs war ich noch unsicher, ob und wie die Handmade-Geschenke ankommen würden. Mit Schrecken erinnerte ich mich an Mamas Unikate aus meiner Kindheit. Kratzende Pullis und dicke Wollsocken, mit denen jeder Schuh drückte – auch wenn er noch so ausgelatscht war.
Die Reaktion meiner durchaus kritischen Frau Tochter war für mich äußerst überraschend. Lange hat sie das Sockenpaar hin- und hergedreht, ist mit der Hand hineingeschlüpft bis zur Bandspitze. Vorsichtig strich sie mit der Sockenhand über ihren anderen Handrücken. Schlussendlich wurden sie angezogen und weiterhin an den Füßen bewundert. Rosa-lila-grau-geringelt war ihr erstes Mama-Sockenpaar, das sie gerne und mit Stolz getragen hat – bis dass die Löcher nicht mehr genäht werden konnten.
Zwei glatt, zwei verkehrt – so hat sich meine Sockenstrickzeit mittlerweile ausgedehnt weit hinaus über die zwei letzten Monate im Jahr. Es vergeht kein Weihnachtsfest ohne Sockenpackerl. Die Beschenkten werden nicht müde, sich darüber zu freuen. Und ich freue mich über deren Freude. Gut angekommen sind in letzter Zeit auch meine Trostsocken bei Trübsinn oder Krankheit. Meine Freundin wurde mit roten Freundschaftssocken im Norwegerstil bestrickt– ein Paar für sie, eines für mich.
Besonderen Spaß macht die Verarbeitung der übrig gebliebenen Wollreste. Da wird der Farbverlauf zur Überraschung und das Stricken zum wahren Abenteuer. Zwei glatt, zwei verkehrt.
© Anita Gürth 2023-01-04