von Janka
Sie schaut mir direkt ins Gesicht, diese Betrügerin. Ich sehe die Schuld in ihren Augen glitzern. Blicke voller Unsicherheit. Schließlich schaut sie beschämt zur Seite. Die Betrügerin wendet sich vom Spiegel ab. Ich wende mich vom Spiegel ab.
Ich – die Betrügerin.
Klopfende Hände auf meinen Schultern sind mir nicht fremd. Oft höre ich Stimmen, die meine Arbeit loben. Gute Noten, tolle Erfolge, spannende Jobs und selten mal ein Ausreißer. Lucky me! Da gibt es doch nun wirklich keinen Grund zur Klage.
Ich selbst sah im Spiegel bislang stets die vertraute Reflexion der Betrügerin und ich war mir sicher, dass ich irgendwann auffliegen würde, dass das Bild, das all die anderen von mir hatten, in sich zusammenfallen würde wie ein Kartenhaus. Dazu kreisende Beschwörungen in meinem Kopf: „Fragt mich bitte bitte nicht nach meiner Expertise. Stellt bitte bitte nicht mein Wissen unter Beweis. Dann werdet ihr nämlich erkennen, dass ich eigentlich nichts kann, dass ich keine Ahnung, sondern einfach nur Glück habe.“
Ja, rückblickend spielte Glück sicher eine tragende Rolle. Aber nicht die, von der ich bislang ausging. Ich hatte Glück, von meiner Familie unterstützt zu werden. Ich hatte Glück, meine Zukunft nach meinen Wünschen zu gestalten. Ich hatte Glück, dass es mir nicht an Fleiß, Neugierde oder Arbeitsmoral fehlte.
Warum ließ ich es dann zu, dass ich selbst meine größte Kritikerin war, ich mein Wissen und meinen Wert in den Boden stampfte und nicht anerkennen konnte, was ich Tag für Tag leistete?
Weil ich in einer Welt lebe, in der es niemals reicht, einfach nur gut zu sein. Konkurrenzverhalten schon in der Grundschule. Später Gymnasium? Ach, Realschule. Du Loser! Nackte Zahlen, schwarz auf weiß, die über die Zukunft entscheiden. Buckel dich nach oben und mach das dritte unbezahlte Praktikum. Rede deinen Dozenten stets mit „Herr Professor an“, damit kein Zweifel aufkommt, wer hier der Boss ist. Masterabschluss und trotzdem Mindestlohn? Naja, man muss ja schließlich den Ehrgeiz bewahren. Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Wenn man tatsächlich funktioniert in diesem ‚Fressen oder gefressen werden‘-Spiel, dann kann es doch nicht mit rechten Dingen zugehen. Dann ist Betrügerei im Spiel. Dann bin ich eine Betrügerin. Aber: Das darf niemand merken. Das Poker Face wird zum Everyday Make-up.
Wie wohltuend es wäre, öfter mal ein schamloses „Das weiß ich nicht“, ein „Dazu kann ich nichts sagen“ oder ein „Da müsste ich mich erstmal informieren“ zu hören. Was für eine Chance, sich zu demaskieren, um wirklich etwas zu lernen. Was für eine Chance, beim nächsten Blick in den Spiegel einfach nur ein wissbegieriges Gesicht zu sehen.
© Janka 2021-05-18