von Hannah Trapp
Ich frage mich gerade, ob mir ganz okay wohl auf lange Sicht reichen wird – in meiner realen Version der Zukunft. Ich bin eigentlich kein Ganz-Okay-Mensch. Ich bin sehr ambitioniert. Das war wohl das Stichwort. Meine Fantasie zeigt mir eine weitere Zukunfts-Hannah. Diesmal bin ich breiter als der TĂĽrsteher. Gut, das ist wohl ĂĽbertrieben. Aber ich bin wirklich sehr durchtrainiert fĂĽr mein Alter. Ich brĂĽlle gerade eine Gruppe älterer Damen an. „EINMAL GEHT NOCH!“ Die Damen ächzen und stöhnen und fĂĽhren eine letzte Kniebeuge durch. „Wuhu!“, brĂĽlle ich daraufhin „Ihr habt es geschafft fĂĽr heute! Jetzt nur noch das Cool-Down!“ Ich turne den Frauen einige Ăśbungen vor und stelle fest, dass mir das so leichtfällt, wie einem jungen Mädchen. Wie soll es auch anders sein? Als die Corona-Pandemie damals das Land stillgelegt hatte, hatte ich mich langsam, aber sicher in den Laufsport verliebt. Ich trainierte und trainierte. Anfangs nur aus Langeweile, doch ich wurde besser und besser. Infolge meiner Erfolge im Halbmarathon lieĂź ich das FuĂźballspielen sein – mein neuer Trainer hatte es mir ohnehin nicht angetan. Ebenso mein Studium. Bewegungsarm wie es war, langweilte es mein neues Profisportler-Ich. Nach dem vierten Semester warf ich alles hin und studierte stattdessen Sportwissenschaften. Getreu dem Motto better, stronger, faster arbeitete ich hart an mir. Ich schwor dem Alkohol ab, wand mich aber auch von vielen Freunden ab, weil mein Fokus viel zu sehr auf mir lag. Jetzt bekomme ich das langsam wieder in den Griff. Mit Jeff – unserem Empfangsherrn – mixe ich mir nach dem Kurs einen Proteinshake. „Heiliger Himmel!“, stoĂźe ich dann hervor. „Ich muss meine Nichte vom Schwimmtraining holen!“ Hastig schlĂĽpfe ich in den Pulli. Meine Schwester wird mich umbringen, wenn ich Lucia wieder warten lasse. „Die kommt nach dir?“, fragt Jeff interessiert. „Kann man so sagen. Aber an meinem Lauftraining fĂĽr Kids darf sie nicht teilnehmen. Spielt noch FuĂźball und mehr geht nicht…“ Grinsend erinnere ich mich, wie ich letztes Mal versucht habe, meine Schwester von meinem Training zu ĂĽberzeugen. Dann denke ich an ihren Vorwurf, dass ich den Blick fĂĽr die Dinge neben Sport und meinem Job als Sport- und Fitnesstrainerin völlig vernachlässigen wĂĽrde. Vielleicht, weil ich Lucia neulich beim Kinderarzt vergessen hatte – obwohl ich sie eigens hingefahren hatte. Und Mamas GemĂĽsegarten hatte ich auch vertrocknen lassen – während ihres Urlaubs… Aber verpeilt, war ich nun einmal schon immer. Jeff sieht mich fragend an. Hups. Ich muss in Gedanken versunken sein. „Du, ich muss los! GrĂĽĂź die anderen! Bis morgen!“ Schnell husche ich aus dem Studio. Dabei erhasche ich einen Blick auf mich im Spiegel. Bin das wirklich ich?
© Hannah Trapp 2023-05-27