von Marga_Spencer
Wir trafen uns zwei Monate später zu einem Spaziergang am Fluss mit dem Hund. Ich zog für das Date einen Tarnanzug an. -Zumindest dachte ich kurz aus Humor darüber nach. Natürlich tat ich es nicht. Es war bereits dunkel, als wir losgingen und die Nacht war Tarnung genug. Doch Karl sah mich an diesem Abend trotzdem. Ich brauche keine Bühne, keine große Aufmerksamkeit, aber an manchen Tagen fühlt es sich gut an, einfach wahrgenommen zu werden. Jemanden, der einen ins Licht zieht.
Karl überraschte mich und war so viel mehr, als ich erwartet hatte. Wir fanden schnell eine tiefere Ebene. Ich hatte mir ihn sehr geradlinig vorgestellt oder vielleicht eher gesagt: in meiner Annahme zurecht gebaut. Jemand, der seinen Weg ohne Umschweife gegangen ist. Es war nicht so. So wie ich hatte auch er seinen Vater früh verloren. Die Eltern waren geschieden, seine Mutter, bei der er aufgewachsen war, mittlerweile ebenfalls verstorben. Ich fand es wärmend, gerade wenn er von seiner Mutter erzählte.
Er strauchelte, ebenfalls wie ich, im Studium und überlegte es hinzuschmeißen. Freunde hatten ihn damals davon abgehalten, wofür er heute sehr dankbar ist. Wir unterhielten uns über die Arbeit, das Snowboarden, wohltätige Zwecke und über Hunde. Eine Superkraft von ihm war neue Sichtweisen und Blickwinkel einzubringen, das erkannte ich schnell. Ich mochte, dass er eine eigene Meinung hatte, die mich in meiner eigenen Anschauung voran und zum Nachdenken brachte.
Manchmal war dies auch etwas unangenehm für mich, weil ich merkte, wie eingefahren ich doch teilweise in meinen Gedanken war. Wir kamen auf Tinder zu sprechen: „Es gibt dort teilweise echt verrückte Profile“, sagte ich und schüttelte leicht den Kopf. „Leute, die bewusst eine Affäre suchen oder ihre Fetische ausleben wollen. Ich finde das krass.“ Karl sah mich ruhig an. „Aber warum krass?“, fragte er. „Jeder kann doch leben, wie er möchte.“ Ich zögerte. „Schon, aber es fühlt sich nicht richtig an. Nicht wie das, was ich für mich möchte.“ Er lächelte leicht. „Aber es geht ja nicht darum, ob es für dich passt. Es geht darum, dass jeder seinen eigenen Weg gehen kann.“ Ich dachte darüber nach. Und erkannte: Er hatte recht.
Ich war dankbar für den Moment mit ihm und erfuhr eine Geborgenheit in seiner Nähe, die mich überraschte. Karl brachte mich noch zum Auto und ich überlegte ihn zu küssen. Es ergab sich keiner. Küsse müssen echt sein. Es bringt nichts sie krampfhaft herauf zu beschwören, also verabschiedeten wir uns schließlich. Zu Hause war ich verunsichert, daher schrieb ich ihm noch kurz eine Nachricht. Es war ein Versuch ihn wissen zu lassen, dass ich ihn mochte. Er antwortete. -Vorerst und nur für diesen Abend. Dann passierte nichts mehr. Ich fand mich irgendwann damit ab.
Nach vier Monaten dachte ich plötzlich wieder an ihn. Ich schrieb ihm mit Mut im Rücken als letzten Versuch, als letzten Aufschrei es doch noch einmal versucht zu haben, eine Nachricht, ob wir uns noch einmal treffen wollen. Die Antwort blieb aus. Es gab keine Erklärung, keinen Abschied, nur Stille. Und in dieser Stille lag alles. Manchmal ist das Verschwinden selbst die Antwort. Ich trat heraus in die Nacht, nahm einen tiefen Atemzug und ging allein weiter.
© Marga_Spencer 2025-06-07