Beziehungskiste

Judith Lahfeld

von Judith Lahfeld

Story

Wahrscheinlich hat sie jeder, diese Beziehungskiste. Wenn auch nicht in Kistenform, dann findet man wenigstens ein Bermudadreieck im Keller, in dem alte Fotos, Schriftstücke oder andere Erinnerungen verstauben. Es muss sich dabei nicht immer um Beziehungen in Form einer Menschenbeziehung handeln. Beziehungen gibt es so einige im Leben. Das Ganze fängt bereits in früher Kindheit an. Bei dem einen Kind ist es der geliebte Teddybär, zu dem man ein inniges Verhältnis pflegt. Später ist es ein Haustier, dessen Überreste hoffentlich nicht in dieser Kiste verschwinden. Halsband, Polaroid oder ein hübsches Tattoo auf der Haut, Erinnerungsmöglichkeiten gibt es viele.

Beziehungen müssen nicht einmal mit Lebewesen geführt werden. So manche Leute haben ein inniges Verhältnis zu ihrer Spielekonsole, dem Sandwichtoaster oder dem Smartphone. Erst gestern habe ich meins aus Versehen in der Toilette versenkt und ich glaube, bei jedem anderen Gegenstand hätte ich weniger laut aufgeschrien. Neulich habe ich einen Spruch gehört, der mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht. „Du besitzt keine Dinge, Dinge besitzen dich“. Ich denke, da ist mehr als nur eine Menge dran.

Es ist doch erstaunlich, zu wem und zu was man im Laufe seines Lebens alles Beziehungen aufbaut. Es gibt ja sogar Menschen, die ihrem Auto oder ihrem elektrischen Saugroboter Namen verpassen. Letzteres trifft übrigens auch auf mich zu. „Arnold, warum hängst du schon wieder im Kabelsalat fest? Komm her, ja fein!“. So hieß selbst mein altes schwarzes MacBook „Mr. Crowley“ und der Kaktus in meiner ersten Wohnung „Edgar“. Warum tun Menschen sowas? Ich habe dafür nur eine Erklärung. Zu jemandem oder etwas eine Beziehung aufzubauen, gibt uns eine Form von Sicherheit. Die Beziehung zu Edgar hielt leider nicht sehr lange, denn er erfror eines kalten Winters in meinem unbeheizten Wintergarten.

Be-zieh-ung. Man bezieht ja irgendwie auch etwas. Vom DHL-Boten die heiß erwarteten Pakete, vom Rasierer einen „Erwecke-die-Göttin-in-dir-Moment“ und von der Mikrowelle ein warmes Essen. Es gibt viele Dinge und Leute, ohne die man einfach nicht leben möchte. Konsumverhalten ist eine gefährliche Angelegenheit.

Mein Mann und ich haben einen Spleen für Filme über künstliche Intelligenz. Ich kann mir jeden Gruselfilme angucken, aber Androiden jagen mir eine Heidenangst ein. Ich sage immer zu meinem Mann, dass ich lieber ein tiefgründiges Gespräch mit einem Serienmörder führen würde, als mit einem Androiden, denn letztere haben keine Seele. Wahrscheinlich kann man sich aber bei einem Serienmörder auch nicht so sicher sein. Ist schon nicht so einfach, diese Beziehungskiste. Kürzlich habe ich erst wieder eine mit alten Anleitungen von Elektrogeräten gefunden. Da kamen Erinnerungen auf.

„Ach Sir Slimey“. Wie sehr ich doch meine Lava-Lampe vermisse. Gleich mal übers frisch geföhnte Smartphone nach einer neuen googeln, damit der DHL-Bote für neue Beziehungen sorgen kann.

© Judith Lahfeld 2022-10-20

Hashtags