von Max Sebastian
Ich spaziere an einem warmen Frühlingsmittag durch den Park und beobachte das bunte Treiben. Schmetterlinge fliegen, Blumen blühen und die Wiesen sind voller Menschen, die ihre neuen Picknickdecken einweihen. In der Nähe eines kleinen Sees setze ich mich auf eine bunt angestrichene Bank und genieße das Zwitschern der Vögel in meinen Ohren. Als ich wenig später anfange, einen Roman zu lesen, kommt ein junges Pärchen zu mir und fragt mich, ob hier noch ein Platz frei ist. Das bejahe ich erfreut und die beiden setzen sich zu mir auf die Bank. Nach einer Weile löse ich mich vom vertieften Lesen und lausche ein wenig dem Gespräch des Pärchens. Marie, so heißt das Mädchen wohl, erklärt ihrem Freund, dass auf seinem Instagram-Account eine weibliche Nachrichtenanfrage aufgetaucht ist, worüber sie sichtlich unerfreut ist. Er versucht sie zu beruhigen und verspricht, die Anfrage sofort abzulehnen und die Nutzerin zu blockieren. An dem Tonfall von ihr erkenne ich, dass dieses Versprechen nur bedingt zu ihrer Zufriedenheit beiträgt, was auch ihr Freund schnell bemerkt. Er zückt sein Handy aus der Tasche, öffnet Instagram und wirft einen Blick in die Nachrichten-Sektion, stets unter Beobachtung von Marie. In den nächsten fünf Minuten lehnt er die Nachrichtenanfrage ab und gibt seiner Freundin freien Zugriff auf seine Nachrichten, den sie auch sichtlich verlangt ‒ ich finde das bedrückend. Wenig später, so musste es ja kommen, stößt ihr eine Nachricht mit lilafarbenem Herz ins Auge, was zu einem lauten Streitgespräch führt. Während ihr Freund ihr eindringlich versucht zu erklären, dass es sich hier lediglich um eine gute Freundin handelt, hat Marie bereits sämtliche Vorstellungen in ihrem Kopf, die sie bereitwillig teilt. Aus Gründen meines Harmoniebedürfnisses – und in gewisser Weise auch zum Schutz vor dröhnenden Kopfschmerzen – gebe ich in Richtung der beiden ein „Hey ihr zwei, genießt lieber das schöne Wetter und seid froh, dass ihr euch habt ‒ Streit gibt es genug auf der Welt“ zum Besten. Da sie so vertieft in ihre Diskussion sind, erhalte ich erst nach dem Wiederholen meiner Worte eine Reaktion. Marie und ihr Freund schauen mich erschrocken an, vermutlich haben sie mich im Laufe der Auseinandersetzung vollkommen vergessen. Überraschenderweise nicken die beiden und wir kommen ins Gespräch. Anfänglich versucht Marie, in Bezug auf den Streit, mich auf ihre Seite zu bekommen, was ich aber, mit Hinweis auf meinen Kommentar, abblocke und für eine Versöhnung plädiere. Wir unterhalten uns noch eine ganze Weile und die beiden erzählen mir, wie sie sich vor zwei Monaten auf einer Online-Dating-Plattform kennengelernt haben. Marie schwärmt, dass sie endlich ihre große Liebe gefunden hat und erinnert sich düster an ihre vier vorangegangenen Beziehungen. Im Hinblick auf ihr Alter, das ich auf 17 schätze, sind vier Beziehungen eine Menge, denke ich mir ‒ behalte es aber für mich. Ihr Freund stimmt ihr in allen Punkten zu, wirkt dabei aber recht lustlos und unbeteiligt. Nachdem Marie mir noch detailliert ihre Traumvorstellung der Hochzeit und die „Couple-To-Do-List“ vorgestellt hat, verabschieden sich die beiden. Ich bleibe noch eine Weile auf der Parkbank sitzen und beobachte den rot-orangenen Sonnenuntergang. Drei Wochen später sehe ich Marie wieder im Park laufen, mit ihrem neuen Freund, wir halten Augenkontakt, doch vermutlich erinnert sie sich schon gar nicht mehr an unser Gespräch.
© Max Sebastian 2025-05-19